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■ Nebensachen aus NikosiaWenn die Muttergottes weint

Das altehrwürdige Kloster Kykko hoch oben in den Wäldern des Troodos-Gebirges von Zypern liegt nicht eben verkehrsgünstig. Das ist kein Wunder, denn in früheren Jahrhunderten erbauten die Mönche ihre Klöster besonders abgelegen, um vor Steuereintreibern, Piraten und sonstigem Gesindel unbehelligt zu bleiben. Kein Wunder ist es auch, daß dennoch täglich Busladungen mit Touristen zu dem berühmten Bau gekarrt werden. Doch jetzt ist ein veritables Wunder geschehen: In der Klosterkirche ist eine uralte Ikone — genauer gesagt, die darauf abgebildete Muttergottes — in Tränen ausgebrochen.

Der Erzbischof hat dieses Ereignis als Wunder klassifiziert und auch gleich eine Interpretation dazu mitgeliefert: Die Ikone gemahne die griechischen Zyprioten, von weltlichen Sünden ab- und in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Seitdem strömen die Menschen nach Kykko, um das Wunder mit eigenen Augen zu sehen. An einem einzigen Sonntag waren es schon 20.000 — bei 600.000 Einwohnern ist das ungefähr so, als würden drei Millionen Deutsche nach Altötting wallfahren.

Warum weint die Ikone? Manche verbinden das Vorzeichen mit der Dürre, andere fürchten gar einen neuen Krieg. Viele sind sich auch gar nicht so sicher, ob das Wunder wirklich ein Wunder ist. Die Tränen zumindest waren eindeutig zu sehen, jedenfalls bei Logos, dem TV-Sender des Erzbischofs. Als wir zur Ikone fuhren, tränten deren Augen zwar gerade nicht, aber immerhin konnte man – jedenfalls fast — so etwas wie eingetrocknete Tränenbäche erkennen.

Tatsache ist, daß die Ikone von Kykko etwas geschafft hat, was in den letzten 22 Jahren noch niemandem gelang: Das Zypern- Problem ward von der ersten Position der Nachrichten verdrängt. Allein diese Leistung garantiert, daß es sich um ein Wunder handelt. Nun allerdings machen sich auch andere Heiligenbilder die Muttergottes zum Vorbild. Es flennt allenthalben: In dem Dorf Mammari war es erst nur eine Ikone, inzwischen schon die ganze Ikonostase. Kürzlich begann auch in einem Vorort von Nikosia eine Ikone zu weinen, und es scheint nur noch noch eine Frage von Tagen zu sein, bis das Ikonenmuseum in Nikosia wegen Überschwemmung geschlossen werden muß.

Also doch nur alles fauler Zauber? Zumindest kann definitiv ausgeschlossen werden, daß der Pope sein bestes Stück jeden Morgen mit der Gießkanne wässert. Auch eine geschickt hinter dem Heiligenbild angebrachte Sprudelflasche scheidet aus. Wenn schon kein Wunder, so unser naturwissenschaftlich besser informierte Freund Andreas, dann könnte die austretende Feuchtigkeit etwas damit zu tun haben, daß es in osmanischer Zeit gang und gäbe war, daß Muslime die Augen der Ikonen ausstachen. Später hat man die Augen dann kunstvoll restauriert, wobei aber als Ersatz nicht Holz, sondern anderes Material verwandt wurde. Darin widerum könnte sich Flüssigkeit angesammelt haben, die nun, wegen der besonders kalten und trockenen Witterung, austritt – sagt Andreas.

Ob Wunder oder nicht: Die Kirche ist erstens bigott, zweitens geschäftstüchtig und drittens patriotisch. Und deshalb hat der Erzbischof eine große Kollekte aufgelegt. Die Einnahmen sollen dem Militär zur Verfügung gestellt werden. Und das ist nun wirklich ein Grund zum Heulen. Klaus Hillenbrand

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