: Startsignal für Mobutus Ende
Nach ihrer Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Kisangani zielt Zaires Rebellenbewegung AFDL auf den Kollaps des Regimes ■ Von Dominic Johnson
Zum Schluß ging alles sehr schnell. Gerade mal fünf Stunden brauchten die Truppen der zairischen Rebellenbewegung „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire“ (AFDL), um am Samstag die drittgrößte Stadt des Landes einzunehmen. Um 14.45 Uhr war alles vorbei. Kisangani mit seinen 500.000 Einwohnern war „befreit“. Und im ostzairischen Goma, wo die AFDL unter dem Namen „Demokratische Republik Kongo“ ihre provisorische Regierung installiert hat, sagte Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila: „Wir überlegen uns jetzt, nach Kinshasa zu gehen.“
Der Kampf war kurz. Nach Meldungen über eine schwere Niederlage der Rebellen am Donnerstag erfolgte am Freitag ein Überraschungsangriff der AFDL auf den internationalen Flughafen von Kisangani. Daraufhin brach unter dem bunten Haufen, den die zairische Armee zur Verteidigung der Stadt versammelt hatte, Panik aus. Serbische Söldner versuchten gewaltsam und vergeblich, zairische Soldaten an der Flucht zu hindern. Nach Presseberichten aus Belgrad kämpfen 5.000 Söldner aus Serbien in Zaire. Die AFDL sagte am Wochenende, auf Regierungsseite befänden sich zudem 2.000 Kämpfer der mit Mobutu verbündeten angolanischen Rebellenbewegung „Unita“ und 3.000 Soldaten der ehemaligen ruandischen Hutu-Armee, die 1994 nach Zaire geflohen war. Kommandiert worden seien sie von französischen Offizieren.
Diese „Regierungstruppen“ plünderten schließlich die Stadt und zogen sich zurück. Mehrere hundert ausländische Söldner flogen nach AFDL-Angaben nach Mbuji-Mayi, Hauptstadt der zentralzairischen Provinz Kasai. So fiel das verlassene Kisangani am Samstag in die Hände der Rebellen wie eine reife Frucht. Die AFDL marschierte kampflos ein und wurde von der verbliebenen Bevölkerung als Befreier begrüßt.
Kisangani war die letzte noch verteidigungsfähige Bastion der zairischen Regierungsarmee in der Osthälfte des riesigen Landes. Hier hatte das Armeekommando sein Hauptquartier aufgeschlagen, von hier aus sollte die seit Monaten immer wieder verkündete Generaloffensive zur Zerschlagung der AFDL-Rebellion starten. Wer Kisangani kontrolliert, beherrscht den Zugang zum schiffbaren Teil des Kongo-Flusses, heute der einzige funktionierende Verkehrsweg in Zaire. Von Kisangani aus braucht man per Schiff etwa zwei Wochen in die Hauptstadt Kinshasa. Möglichkeiten, zwischen Kisangani und Kinshasa Verteidigungsstellungen gegen eine vorrückende Rebellenarmee aufzurichten, gibt es so gut wie keine.
Über die Bedeutung der Eroberung Kisanganis sind sich alle Seiten im klaren. AFDL-Führer erklären schon seit Wochen, der Fall Kisanganis wäre das Signal zum unwiderruflichen Ende des Mobutu-Regimes. „Nächste Ziele: Gbadolite und Kinshasa“, verkündete jetzt Paul Kabongo, Sicherheitsminister der AFDL-Regierung, in Goma – Gbadolite ist das Geburtsdorf Mobutus nahe der Zentralafrikanischen Republik. In der Hauptstadt Kinshasa kursierten gestern bereits Putschgerüchte: Die Armee mußte Warnschüsse abgeben, um Demonstranten auseinanderzutreiben, die sich wegen Berichten über einen Sturz von Premierminister Kengo wa Dondo durch meuternde Offiziere auf der Straße versammelt hatten.
Wahrscheinlicher noch als ein militärischer Vorstoß der AFDL Richtung Kinshasa ist die Anzettelung von Volksaufständen in der Viermillionenstadt, die zu großen Teilen Mobutu feindlich gesinnt ist. „Die Leute warten nur noch auf das Signal“, sagte AFDL-Wirtschaftsminister Mwanananga Mawapanga, der selbst aus der Region um Kinshasa stammt, in Goma vorletzte Woche. Die AFDL hat längst enge Kontakte zu Gegnern Mobutus in ganz Zaire geknüpft. Der Chef der Opposition im zairischen Parlament, Joseph Olenghankoy, soll sich ebenso mit Rebellenführern getroffen haben wie Mpoyo Kasavubu, Tochter des ersten Staatspräsidenten des Landes und Europa-Vertreterin der stärksten politischen Oppositionspartei UDPS.
Die zentrale Provinz Kasai, zur Zeit aufgrund ihrer Diamantenförderung der ökonomisch lebensfähigste Teil des Landes und faktisch von der Zentralregierung längst unabhängig, bereitet sich nach Worten von Politikern aus Kasai auf den friedlichen Übertritt ins AFDL-Lager vor. In der Südprovinz Shaba, mit ihren immensen Kupfervorkommen potentiell die reichste Provinz Zaires, ist die AFDL in den letzten Tagen bis an die Grenze zu Sambia vorgerückt. Als ihr nächstes militärisches Ziel nach Kisangani hat die AFDL bereits die Hauptstadt Shabas, Lubumbashi, genannt.
Der Fall Kisanganis ist somit das Startsignal für die gesamte politische Landschaft Zaires, sich in Bewegung zu setzen. Angesichts dessen überrascht es nicht, daß die AFDL einen sofortigen Waffenstillstand ablehnt, wie ihn UN-Sonderbeauftragter Mohamed Sahnoun nach wie vor verlangt. Ein Waffenstillstand soll nach dem Willen der AFDL höchstens als Ergebnis von Gesprächen über die Machtübergabe geschlossen werden. Die Beziehungen zwischen AFDL und UNO sinken somit offensichtlich auf den Tiefpunkt. Während die Rebellen in Kisangani einmarschierten, hielt sich Sahnoun gerade in Goma auf, um mit Kabila zu reden. Er mußte eine halbe Stunde auf dem Flughafen warten, um abgeholt zu werden, wurde von keinem hochrangigen Politiker begrüßt, und die vereinbarte gemeinsame Pressekonferenz zum Abschluß des Besuches fand nicht statt.
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