Hamburgs Grüne jetzt voll auf Regierungskurs

■ Grün-Alternative verabschiedeten ihr Programm zu den Bürgerschaftswahlen ohne „Essentials“. Flügelübergreifende Hoffnung: Rot-Grün statt Große Koalition

Hamburg (taz) – Die Grünen des Stadtstaates ziehen ohne „Essentials“, aber mit der Forderung nach „konkreten Veränderungen“ in den Kampf um die 1,3 Millionen Stimmberechtigten, die am 21. September ein neues Landesparlament wählen sollen. „Eine Regierungsbeteiligung kann nur ein sinnvolles Projekt sein, wenn damit konkrete Schritte und Signale für eine politische Korrektur verbunden sind“, heißt es in der Präambel des Wahlprogramms, das die GAL am Wochenende auf ihrer Landesversammlung im Renommierstadtteil St. Pauli verabschiedete. Ihre Wahlkandidaten wird sie erst am 12./13. April bestimmen.

Auf der grünen Wunschliste für die angestrebte rot-grüne Koalition – Schwarz-Grün wird trotz freundlicher CDU-Angebote kategorisch abgelehnt – stehen neben der Wiedereinführung der Straßenbahn unter anderem ein Antidiskriminierungsgesetz, „der Versuch einer Ausstiegsstrategie aus der Atomenergie“, der Abbruch der Hafenerweiterung, die Auflösung von Massenunterkünften für Einwanderer sowie der Ausbau von Beschäftigungsprojekten in „benachteiligten Stadtteilen“.

„Viva St. Pauli“ prangte hinter dem Podium; eine Betriebsrätin der von Schließung bedrohten Bavaria-Brauerei auf St. Pauli hielt ein Grußwort: Hamburgs Grüne, die 1982 als GAL erstmals in die Bürgerschaft einzogen und seither zur Opposition zählen, schwimmen im Vorfrühling des Wahlkampfs auf einer Woge der Zustimmung. Dies zeigt sich nicht nur in Umfrageergebnissen von bis zu 20 Prozent und einer äußerst liebevollen Behandlung durch die Medien. Spürbar ist dies besonders in der früheren SPD-Hochburg St. Pauli, wo die Grünen am Wahlabend zur stärksten Partei avancieren dürften.

Hamburgs Grüne, früher eine Hochburg der Fundis, haben sich mittlerweile deutlich gewandelt: An die Stelle der trotzigen Präsentation grüner Nein-danke-Punkte und der einst so optimistischen „Alles ist machbar, Herr Nachbar“-Pose der frühen grün-alternativen Jahre ist ein detailreicher Flickenteppich grüner Befindlichkeiten und Ideen getreten.

GAL-Chefin Antje Radcke verrät, warum: „Es ist so kompliziert geworden, Antworten zu finden.“ Dennoch gab es am Wochenende auch Polemik und Streit. Als Vertreter des linken Flügels den Realos um die voraussichtliche Spitzenkandidatin Krista Sager und Fraktionschef Wilfried Maier Anklänge zum „Neoliberalismus“ und Fixierung auf „die Marktwirtschaft“ vorwarfen, konterte Maier: Die „Linken“ seien ihm „zu latschig, zu rechts und zu sozialdemokratisch“. Wer heute noch „staatliche Investitionslenkung“ fordere, müsse erklären, wie er damit die „Voodoo-Ökonomie“ von Atomkraftwerken, Müllverbrennungsanlagen und Transrapid verhindern wolle.

Diese polemischen Schmankerln deuten zwar auf die Schwierigkeiten, trennscharfe Linien zwischen den Flügeln bei den Grünen zu finden, für die Alltagspolitik spielen sie jedoch keine Rolle, wie auch der GAL-Linke Andreas Bachmann betonte: „Wir wollen alle den rot-grünen Wechsel in Bonn.“ Und diese Perspektive, so verlautet aus der Umgebung von Bürgermeister Henning Voscherau, könne dann auch der Grund sein, warum der Chef der jetzigen SPD-Statt-Partei-Koalition seine Vorliebe für eine Große Koalition nach dem 21. September doch noch zugunsten von Rot-Grün fallenlassen könnte. Florian Marten