: Wenn der Sitz zum Sofa wird
■ Die Designausstellung „Komfort und Kalkül“in der Bremer Securitas Galerie zeigt Möbel, Modelle und Skizzen des Berliner Designers Stefan Heiliger / Streifzug durch das 30jährige Schaffen seiner Gebrauchskunst
Ein leichter Daumendruck und schon wird der Sitz zum Sofa, die Liege zum Sessel. „Ich will die festgefahrenen bürgerlichen Kategorien zwischen Sitzen und Liegen kreuzen“, erklärte gestern Designer Stefan Heiliger in Bremen. Wer heutzutage um 20 Uhr von der Arbeit komme, wolle es sich eh nur noch auf einem Sofa bequem machen – der Abschied vom Eßzimmerstuhl. „Komfort und Kalkül“heißt deshalb die Ausstellung in der Bremer Securitas Galerie, die mit Möbeln, Modellen, Konstruktionszeichnungen und Skizzen die vergangenen 30 Jahre des mehrfach ausgezeichneten Berliner Gestalters prägnant beleuchtet.
Auf einem Rondell der Galerie stehen sie seit gestern im Scheinwerferlicht: die Schönen aus der Hand Heiligers, der zuvor lange Zeit bei Mercedes Autos gestylt hat und zudem an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach lehrt. Da erscheint etwa „Danaide“auf dem Laufsteg. Das zartgelbe Sofa ist erst seit Januar auf dem Markt. Es läßt sich durch einen E-Motor in eine Liegewiese verwandeln und hat trotzdem nichts mit den vielen scheußlichen Orthopädie-Schwestern auf dem Markt gemein. Preis: rund 9000 DM. Und dann gibt es da noch das Sofa „Swing Line“, dessen Körper an übereinandergelegte Hände erinnert. Und den Drehstuhl „Romeo und Julia“, der sich aus übereinanderlappenden Lederzungen zusammensetzt und in seiner Eleganz sehr einladend wirkt.
Daß Heiligers gerundete Möbel bisweilen gefällig, ab und an sogar eine Spur snobistisch wirken, hier wegen der Kombination von Zitronengelb mit grünen baseballähnlichen Kissen, dort wegen der gewagten Kombination von orange mit violett, ist freilich nicht immer im Sinne des Mannes mit dem sakrosankten Namen. Wer Möbeldesign verkäuflich machen will, muß eben Kompromisse eingehen. So kann Heiliger nicht nur mit seinen Lieblingsfarben dunkelgelb, orange und einem leuchtenden Blau operieren. Die KundInnen sind es, die wählen dürfen in einer Palette von Dalmatinerlook bis Lederglanz.
Was bleibt bei all den kleinen Abstrichen und Zugeständnissen, ist ein Stück lebenslustiger Lebensstil und vor allem ein supergutes Sitzgefühl, auch wenn sich während der Ausstellung niemand setzen soll und darf. Wer's trotzdem wagt, kann in Heiligers „Spot“absinken, in Bremen zu sehen in sonnenblumengelbem Leder mit schwarzen Stahlfüßen. Ungefähr 15.000 Mal wurde dieser Liegesessel bisher verkauft – Heiligers absoluter Bestseller.
Verlaufen hat sich hingegen, wer in der Securitas-Galerie nach strenger Bauhaus-Ästhetik oder skandinavischem Look Ausschau hält. Und das, obwohl Heiliger einst beim Bremer Industriegestalter Wilhelm Wagenfeld gelernt hatte. An dem hatte ihn zwar fasziniert, daß er seine formstrengen Kannen, Bestecke, Vasen und Gläser wochenlang zuhause getestet hatte, ehe sie in Produktion gingen. Doch dafür hat Heiliger, der heute mit zehn Firmen kooperiert und bis zu 40 Möbel pro Jahr entwirft, keine Zeit mehr. Und auch formal liegen Welten zwischen beiden Gestaltern.
Das Skelett, um das der 55jährige Mann seine Möbel baut, heißt Bewegung und Emotion. So hat er auch den großelterlichen Schaukelstuhl entstaubt: „Damals gab es nur Schaukelstühle für Pensionäre, aus Rattan oder Holz.“Bei Heiliger hingegen kommt der Schaukelstuhl „Lisa“modern daher, mit dreieckigem Rück- und Sitzpolster und – das war vor zehn Jahren ganz neu – auf spiraligem Stahlfuß.
Nicht nur bei dieser Schaukelstuhlvariante, ganz allgemein hat Heiliger entschieden wenig mit der Vergangenheit im Sinn. „Alles, was rückwärts gewandt ist, soll beruhigen“, kritisiert der Designer. „Mein Design aber soll beunruhigen.“Gemeint ist ein Schuß Irritation, der seine Stücke aus der Flut beliebiger Möbel heraushebt. Versteht sich, daß der Sohn eines Bildhauers nicht in einem Altbau wohnt, sondern in einem Mietshaus der 60er-Jahre, ganz ohne Antiquiäten, postmodernen Spielerien und Nostalgie. Sabine Komm
Bis 19. Mai in der Securitas Galerie, Mo. bis Fr., 8 bis 18 Uhr. Der Katalog für 25 DM enthält leider viel schwammiges Geschwafel rund um Heiligers Design. Mit Formulierungen wie „rekreative Abwechslungen“, „erotisches Anmutungsspektrum“und „ absichtsslos wirkende Ästhetik“verunklärt Autor Volker Fischer vom Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt/M. eher als zu erklären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen