Bis zu 300.000 Fälle in Berlin

Die Feiern zum 20. Juli haben schon rituellen Charakter: Jedes Jahr gedenken die Verfassungsorgane der Bundesrepublik in Berlin dem Widerstand gegen die NS-Herrschaft. Die Urteile aber, die von Gerichten zwischen 1933 und 1945 auch wegen weitestgehend unpolitischen Taten verhängt wurden, sind in ihrer Mehrzahl noch immer rechtskräftig.

In die öffentliche Debatte gerückt wurde das Thema erst 1996 durch eine Reihe prominenter Fälle, unter anderem den des von den Nazis hingerichteten Theologen Bonhoeffer. Sein Todesurteil war allerdings, wie das Berliner Landgericht zur Überraschung der Öffentlichkeit schließlich feststellte, schon 1946 aufgrund bayerischen Rechts aufgehoben worden.

Allen voran Berlins sozialdemokratischer Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit ist es zu verdanken, daß das Thema der NS-Unrechtsurteile seitdem breit diskutiert wird. Ihrer Forderung nach einem bundesweiten Aufhebungsgesetz wurde bis heute weder von der Bundesregierung noch vom Bundestag entsprochen. Allein in Berlin, der früheren Machtzentrale des NS-Regimes, stehen nach Schätzungen der Justizverwaltung 200.000 bis 300.000 Fälle aus der NS-Zeit zur Überprüfung an.

Die völlig überlastete Justiz konzentriert sich dabei nur auf wenige, ausgewählte Urteile. Peschel-Gutzeit appellierte daher an die Nachkommen von NS-Opfern, von sich aus Anträge auf eine Überprüfung zu stellen. sev