: Denken in Kriegszeiten
■ betr.: „Das Prinzip Eisscholle“, taz vom 25. 2. 97
Udo Knapp hat dank seines gesellschaftlichen Engagements schon immer gern überzeichnet; aber sein Eindruck, daß es „bei der Diskussion um die Rentenfinanzierung ... in Wahrheit um einen Krieg der Jüngeren gegen die Alten“ (geht), gibt hoffentlich vielen Politikern, Soziologen und Psychologen zu denken. Und Denken ist gerade in Kriegszeiten noch die beste Möglichkeit, Gefahren zu bannen.
Wenn ein Banker Studenten in einer deutschen Uni auffordert, offensiv ihr Recht auf Erwerbsraum gegenüber der älteren Generation zu erkämpfen, so wird hier auf die feine Art dazu ermuntert, nicht ein Tabu zu brechen, nein! – sondern radikal Schluß zu machen mit dem Denken in Zusammenhängen. Und das, obwohl täglich genau diese Fähigkeit von „der“ Wirtschaft als an den Schulen zuwenig gepflegte Kulturaufgabe eingefordert wird.
Solche Äußerungen, aber auch tägliche Erfahrungen und Erlebnisse junger Menschen in den Regionen hoher (Jugend-)Arbeitslosigkeit haben ihre Wurzeln in einem Mißverständnis gegenüber wirtschaftlichen Tatsachen. Wir alle, Junge, Youngsters und Ältere stehen längst gemeinsam unter einem permanenten Hagelgetrommel. „Anspruchshaltung“ wird uns ständig zur Last gelegt, wenn es um Renten, Steuern, Versicherungen, nicht aber um Konsum geht.
[...] Nicht mangelndes Wirtschaftswachstum ist das Problem. Steigende Zahlen über Immunschwächefolgen stoßen die Alarmglocken an. Die menschliche Kostenlawine rollt. Lebt nicht die ganze Republik, ja ganz Europa in dem Wahn, daß Besitz und Eigentum – je mehr und neuer, desto besser – das eigentliche Leben ausmachen und demzufolge alles andere nur Beiwerk ist? Karl Marx läßt grüßen.
Die Verhältnisse in Ex-Jugoslawien werfen ein grelles Licht auf eine andere Wahrheit: Das Abendland hat es bis jetzt nicht vermocht, die Friedenswurzeln auszugraben. Sie liegen durchaus im Boden unseres Grundgesetzes. Haben wir in den letzten 50 Jahren alles getan, um die Würde aller Menschen, von den Jüngsten bis zu den Ältesten, von den Dümmsten bis zu den Klügsten, von den Gesündesten bis zu den Beschädigsten überhaupt wahrnehmen zu können? Es scheint, als ob es unter Wölfen kultivierter zugeht als unter uns Menschen. Hier liegt eine elementare Aufgabe, die vor jedem Rechtsanspruch steht, der sonst unerfüllbar ist. [...] Gisela Canal, Ulm
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