Im Sinne des Clans

Keine HipHop-Band beschäftigt die Fangemeinde so sehr wie der New Yorker Wu-Tang Clan. Verantwortlich fürs Image: Eva Ries – eine weiße, weibliche, deutsche Person, die „am liebsten AC/DC hört“  ■ Von Heike Blümner

Im Land der fetten HipHop- Beats sind die neun Rapper vom Wu-Tang Clan Regierung und Guerilla, Gesetzgeber und Revolutionäre zugleich – nur zur Pressekonferenz laden sie so gut wie nie. Wenn es dann doch dazu kommt, werden kleine Reisegruppen weißer Musikjournalisten nach New York eingeflogen, um die Gemeinde in der deutschen Diaspora mit Einblicken in die gefährliche Welt des HipHop, die noch gefährlichere des Wu-Tang Clans sowie mit Eindrücken über den Zustand der Ghettos zu versorgen.

Im Sinne des Clans ist das schon. Wu-Tang hat selber kräftig an seinen Mythen gebastelt, den Visionen von Großstadtkriegertum und wildgewordenen Potenz-Ninjas. Sein Hometurf, der New Yorker Stadtteil Staten Island, wurde kurzerhand in „Shaolin Island“ umbenannt, die Projects zu einer Art Kampfbasis tückischer schwarzer Hongkonghelden umstilisiert. Und je bunter das Bild wird, desto bereitwilliger gehen die Berichterstatter in die Knie und stellen über die Clan-Attitüden immer neue gesellschaftliche und musikalische Gleichungen auf.

Allen voran beschäftigt der Ol' Dirty Bastard die Gemüter der Popzunft wie sonst nur ein schwieriger Patient seinen Psychiater. Wer je ein Video mit Dirty gesehen hat, wie er, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, mit gebleckten Goldzähnen aus dem Fernseher zu springen scheint, wird daheim automatisch zum Sofarebellen – The revolution is televised... Attitudewise!

Die Jungs von Wu-Tang sind meine Babies“, sagt Eva Ries und lächelt mehr kokett als mütterlich. Sie weiß, daß sie es ist, die hier das Sagen hat. Nachdem bei sämtlichen Plattenfirmen, die mit dem Clan assoziiert sind, Pressetermine als äußerst schwer vermittelbar zu den Akten gelegt werden, ist sie als inzwischen selbständige Promoterin die einzige Person, die Interviews mit dem Wu-Tang Clan geschehen lassen kann. Und das, obwohl Eva Ries als weiße, weibliche, deutsche Person, die „zu Hause am liebsten Metallica und AC/DC hört“, zunächst all das zu verkörpern scheint, womit HipHop nichts zu tun hat.

Eva Ries ist es gewohnt, daß man sich über ihren Job wundert. Fragen, die darauf hinauslaufen könnten, sie verfüge eventuell über nicht genügend Durchsetzungsvermögen im Umgang mit neun exzentrischen Rappern, neutralisiert sie schon im Ansatz: „Ich arbeite am liebsten mit Verrückten, alles andere ist uninteressant.“

Wie zum Beleg verweist sie auf ihre Zeit als Marketingexpertin bei Geffen Records in Hamburg, wo sie Bands wie Nirvana und Guns N' Roses auf ihren Touren begleitete. Erst 1994 kam sie über den Umweg Los Angeles nach New York, nachdem ihr eine Stelle als internationale Promoterin bei der Plattenfirma RCA angeboten worden war: „Ich hatte von HipHop überhaupt keine Ahnung, ich wußte nichts. Als ich zum erstenmal die Vorabtapes zu ,Enter The Wu- Tang: 36 Chambers‘ hörte, dachte ich, das ist die schrecklichste Musik, die ich je gehört habe.“

Während die MusikkonsumentInnenwelt angesichts des musikalischen Outputs, der verschachtelten Bedeutungsebenen der Texte und des stilistischen Habitus des Clans ehrfurchtsvoll erschauert, hält Eva Ries den Ball flach. Ihre Methode: sich Respekt durch eine gewisse Respektlosigkeit verschaffen. Erkennen, was Image ist und was nicht. Und selber dran mitstricken.

Natürlich verfügt sie über ein unerschöpfliches Anekdotenpotential, das sie gerne zum besten gibt. Damals, bei einem der letzten Gigs des Clans in Harlem zum Beispiel: Die Musiker verlangten im letzten Moment mehr Geld vom Veranstalter. Als der das Cash verweigerte, splitterte hinter der Bühne erst das Mobiliar, und kurz darauf prügelte sich der gesamte Saal. Als Eva Ries in letzter Sekunde durch den Notausgang entkommt, ist das Gebäude von Polizisten abgeriegelt, die allerdings genüßlich warten, bis sich die Menge selbst krankenhausreif geschlagen hat, um dann die Verletzten abzutransportieren. „Schrecklich“, findet das Eva Ries, aber „so was passiert immer, wenn Wu- Tang in New York auftreten. Das gehört schon fast zum Image.“

Beim Rock 'n' Roll ist das nicht anders. Imagelehre Nummer eins ist jedoch, daß die gleichen Handlungen unterschiedlich bewertet werden. Wenn Guns N' Roses die Bühne kurz und klein schlagen, ist das Schweinerock at it's best. Wenn Nirvana den Backstageraum zerlegten, war das Ausdruck von Rebellion und Verzweiflung (am besten einer ganzen Generation). Wenn eine HipHop-Band genau das gleiche tut, wird das vor allem als irgendwie kriminell, ghetto- und gangstatauglich verstanden.

Wenn die Fakten andere sind, muß man eben ein wenig nachhelfen: „Als Dirty letzten Sommer in Amsterdam seine Tour abbrach, war das eine Katastrophe. Die Leute standen vor den ausverkauften Hallen. Ich wußte auch nicht, wo er war, und da habe ich der Presse erst mal erzählt, daß er Probleme mit dem Zoll hatte, da waren die zufrieden.“ Tatsächlich weilte der Ol' Dirty Bastard längst bei seiner Großmutter in Brooklyn. Eine Grippe hatte ihm die Lust aufs Rappen verleidet, und als Eva Ries Amsterdam einen Tag früher Richtung Hamburg verließ, nutzte er die Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. Wie ein Rowdy auf Klassenfahrt, der plötzlich Heimweh kriegt.

Zwei Wochen später im Auto, auf dem Weg ins ländliche New Jersey. Es geht zur Wu-Mansion, der Villa von Clan-Member RZA, und Ries' Erzählungen lassen keinen Zweifel daran, daß die Tours mit dem Clan jeden Lehrer dazu bringen würden, die Pensionierung einzureichen.

Doch solange die Promotion für das demnächst erscheinende neue Album läuft, die Tickets verkauft werden und die Gigs stattfinden, ist es ihr egal, was die Rapper auf der Tour sonst noch treiben. Nur eins, das kann Eva Ries nicht leiden: wenn Dritte in ihrem Kompetenzbereich rumwurschteln. Ein Freund des Clans, für die Europatour als Manager engagiert, wollte in London der BBC das Filmen im Backstagebereich verbieten – obwohl der Termin vorher abgesprochen war! Am nächsten Tag mußte er die Band verlassen – und zwar mitten auf der Autobahn: „Ich habe zu der Band gesagt, entweder wollt ihr Geld verdienen oder nicht. Wenn ja, mache ich die Promotion, aber dann muß euer Manager gehen.“

Die Fahrt mit der resoluten Ries geht im Wagen durch das verschneite New Jersey. Ist sie wirklich von allem not impressed? Oder ist auch das nur Pose in einer Szene, in der jeder seine kleinen Privatposen hegt und pflegt. Und ist es professionell oder naiv, wenn sie sinniert: „Wenn ich jemals den FAZ-Fragebogen ausfüllen muß mit der Frage, welche Fähigkeit ich besitzen möchte, dann auf jeden Fall die des lautlosen Tötens. Die Marines kriegen das beigebracht. Ich frage mich nur, an wem sie das eigentlich üben.“

Eintritt in die Wu-Mansion: Mitten im Wald liegt die Villa, sehr gediegen, umgeben von vergleichbaren Domizilen der weißen Unternehmerschicht. Man kann sich nicht vorstellen, daß die Nachbarn ahnen, daß sich hier die Crème de la crème der Leute, vor denen der Sticker „Parental Advisory – Explicit Lyrics“ warnt, zum Musikmachen versammelt. Das Haus steht komplett leer bis auf ein Ledersofa und eine riesige Palme im Wohnzimmer. Und natürlich das Studio im Keller. Ol' Dirty Bastard ist da, zusammen mit zwei Freundinnen – sonst niemand. Der Rest des Clans hat sich an diesem Freitag abend nach New York abgesetzt.

Dirty ist bester Dinge. Den ganzen Tag hat er im Studio am neuen Album des Wu-Tang Clans gearbeitet. Von dem Ergebnis ist er so begeistert, daß er dem Ausdruck verschaffen muß: „Ich bin ein Genie!“

Eva Ries kann diese Ansicht anscheinend nicht vollständig teilen, und es kommt in etwa zu folgendem Dialog:

– „Wenn du so ein Genie bist, dann macht endlich mal das neue Album fertig, schließlich warten Gott und die Welt darauf.“

– „Kein Wunder, es ist ja auch das verdammt coolste und geilste Album der HipHop-Geschichte.“

Und so geht das fröhliche Aneinandervorbeireden weiter, an dem beide ihren Spaß haben, bis Ries auf einmal wieder auf Dirtys Abgang bei der Europatournee kommt:

– „Du hast mich im Stich gelassen, du hast dich total unprofessionell verhalten.“

– „Aber ich war krank!“

– „Dirty, du weißt, daß ich dir einen Arzt holen wollte, aber du hast dich geweigert.“

(Schweigen) „Come on, Eva, I'm your black brother and you are my homegirl.“

Kichern von seiten Dirtys. Die Angesprochene verdreht die Augen. Spannung gelöst, Abgang.

Ein Modefotograf und ein deutscher Streetwear-Vertreter sind an diesem Tag noch mit Eva Ries unterwegs. Zunächst etwas eingeschüchtert, frei nach dem Motto „Was plant der Irre jetzt“, halten sie sich im Hintergrund. Doch da helfen einige Blunts, und die Spannung löst sich im lustigen Durcheinander.

Dirty erweist sich als Profi. Wenn die Kamera an ist, rollt er dramatisch mit seinen Augen, verzieht den Mund und findet großen Gefallen daran, der verrückte Bastard zu sein. Doch auch bei abgeschalteter Kamera ist er nicht zu bremsen, erzählt von musikalischen und sexuellen Heldentaten, prahlt mit seinen Fünfzehntausend-Dollar-Zähnen oder krempelt seinen Ärmel hoch, um die eintätowierten Namen seiner Kinder vorzuzeigen.

Angeblich hat er neun davon, auf dem Arm sind allerdings nur fünf Namen: vier Mädchen, ein Junge, wobei der Stammhalter den ergreifenden Namen God-Allah trägt: „Wahrscheinlich werden sie sich später in der Schule über seinen Namen lustig machen“, meint Dirty, „aber dafür ist er der Sohn des großen Ol' Dirty Bastard.“

Dirtys gepflegter Größenwahn zeigt sich an diesem Abend von seiner albernen Seite. Später im Studio, bei den satten Klängen einzelner Stücke aus dem neuen Album, glaubt man allerdings tatsächlich, mindestens einer kleinen musikalischen Revolte beizuwohnen. Die Stücke sind noch roh, aber das ist der Wu-Tang-Sound ja sowieso. Fett und düster die Beats, dazu rhythmisches Rappen des Method Man und über all dem das Wimmern und Jaulen von Ol' Dirty Bastard, lustvoll leidend und wie immer sexuell eindeutig.

Inzwischen erscheint es einem fast einleuchtend, daß hier „die Musik fürs Jahr 2020 produziert wird“, wie Dirty es beschreibt. Die Beats wummern durch den Körper, Dirty versteigt sich in immer mehr Anekdoten über sein alle Dimensionen sprengendes Genie, und es könnte eigentlich immer so weitergehen, wäre da nicht noch Eva Ries, die zwar gutgelaunt, aber mal wieder sichtlich unbeeindruckt neben ihrem black brother sitzt: „Wenn ihr hier nicht bald mal fertig werdet, könnt ihr sämtliche Termine und Konzerte streichen, da nützt euch eure Genialität auch nichts.“