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Tirana bittet um Aufschub für Abschub

Italien will kriminelle Albaner loswerden, doch die Knäste in dem Balkanland müssen erst wieder instand gesetzt werden. Italienische Marine soll jetzt weitere Flüchtlinge abfangen  ■ Aus Rom Werner Raith

298 Albaner sind es bisher, die Italien über eine „Knast-Luftbrücke“ nach Tirana zurückexpediert hat: Frauen und – vornehmlich – Männer, die vom Innenministerium Albaniens als „ausgebrochene Verbrecher“ bezeichnet wurden oder die bereits in den wenigen Tagen ihres Flüchtlingsdaseins in Italien straffällig geworden sind. Doch nun stockt die Aktion.

Albaniens neue Regierung nämlich läßt wissen, daß „es ein völliger Unsinn ist, die Leute jetzt schon zurückzuexpedieren“. Die Gefängnisse, aus denen sie ausgebrochen sind, müßten erst repariert werden, und dazu fehlten die finanziellen Mittel. Italien steht nun vor der Entscheidung, die Knackis und Mafiosi entweder bei sich zu beherbergen – oder zu riskieren, daß sie aus Albanien sofort wieder zurückkommen – dann aber wohl mit gut gefälschten Dokumenten. Denn wie es scheint, sind „die Flüchtlingstransporte aus Albanien längst in den Händen gerissener krimineller Organisationen“, so das italienische Außenministerium, „und die arbeiten ihrerseits nahtlos mit Schwestergruppen in Italien zusammen“. Dazu gehören – neben der apulischen Sacra corona Unita und der neapolitanischen Camorra – auch Schlepperorganisationen, die von früher ins Land geschleusten Albanern selbst aufgebaut wurden.

Währenddessen hat der erste massive Ansturm albanischer Flüchtlinge nachgelassen. Nach den bis zu zweitausend täglich angelandeten Frauen, Kindern und Männern der Vortage kamen Mitte der Woche gerade mal vierhundert. Küstenwächter glauben dennoch nicht an eine Entspannung: „Die Abnahme hängt wohl mehr mit dem Wetter als mit einem reduzierten Fluchtwillen der Menschen zusammen“, sagt ein Schnellbootkommandant. Windstärken von sechs bis sieben haben zumindest die vielen Fischkutter vorm Lostuckern abgehalten, mit denen ein Großteil der Flüchtlinge bisher angekommen war.

Italiens Außenminister Lamberto Dini hat inzwischen angekündigt, daß in den nächsten Tagen Schiffe der italienischen Kriegsmarine vor der Küste Albaniens kreuzen werden. Angeblich zur Vorbereitung humanitärer Einsätze, die allerdings, so Dini, „vom Europarat in Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen beschlossen werden müssen“. Das aber kann noch dauern.

Beobachter halten die Präsenz italienischer Marine denn auch eher für eine Drohgeste gegen neue Flüchtlinge. Die Boat people sollen jetzt schon vor dem Erreichen der offenen See abgefangen werden. Die Auffanglager in Unteritalien sind längst hoffnungslos überfüllt, und auch die Kapazitäten der Herbergen in anderen Regionen des Landes sind bereits belegt. Spätestens bis zum Wochenende will die Regierung durch Sonderdekrete beschließen, was mit den Flüchtlingen geschehen soll: Bisher erhalten sie ein Bleiberecht von sechzig Tagen, das bis auf neunzig verlängert werden kann. Was danach kommt, ist noch völlig unklar.

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