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Schneller als die Polizei erlaubt

■ Kieler Datenschutzbeauftragte klagt die Sammelwut des schleswig-holsteinischen Staatsschutzes an

Helmut Bäumler kann es noch immer kaum fassen. „Zustände wie anno dazumal“, klagt der Kieler Landesbeauftragte für den Datenschutz, habe seine Behörde in den Datenbanken der Staatsschutzabteilung des Kieler Landeskriminalamtes (LKA) entdeckt. „Als ob es ein zweigeteiltes Polizeirecht gebe, haben wir hier Speicherungen entdeckt, die in dieser Form bei der allgemeinen Polizei undenkbar wären“, prangert Bäumler in seinem jetzt vorgestellten Tätigkeitsbericht für das Jahr 1996 an. Sein Fazit zur Sammelwut der „politischen Polizei“des rot-grün regierten Bundeslandes: „Schneller als die Polizei erlaubt, speichert der schleswig-holsteinische Staatsschutz personenbezogene Daten.“

Die 56 Personenakten, die Schleswig-Holsteins Datenschützer im Rahmen einer „systematischen Kontrolle im Dezernat für Staatsschutzdelikte des Kieler Landeskriminalamtes (LKA) durchforsteten, hätten „fast durchgehend nicht im Einklang“mit den gültigen Vorschriften gestanden, klagt Bäumler die Staatsschützer an. So sei eine Person nur deshalb gespeichert worden, weil sie bei einer Gerichtsverhandlung zugeschaut hatte. In der Personalakte zweier Frauen fand sich die „ergänzende“Vermutung, sie seien „lesbisch“.

Weitere Beispiele: Nachdem es in einem Zug nach Westerland/Sylt zu erheblichen Sachbeschädigungen gekommen war, unterzog die Polizei 99 Jugendliche einer erkennungsdienstlichen Behandlung. Ihre persönlichen Daten blieben im Computer gespeichert – auch nachdem die Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs bereits eingestellt worden waren. Über einen Mann wurde eine „Staatsschutzkriminalakte“angelegt, weil er Aufkleber gegen Tierquälerei verklebt hatte. Auch der lautstarke Protest von sechs Jugendlichen gegen die Müllberge einer Imbißkette wurde kurzerhand als „Staatsschutzdelikt“gespeichert.

Neben diesen – und zahlreichen weiteren „Einzelfällen“– kritisiert Bäumler vor allem, daß viele personenbezogene Daten und Lichtbilder nach Ablauf bindender Speicherfristen nicht vernichtet worden seien. Da oft nicht einmal bekannt war, wann die Fotos aufgenommen waren, ließ sich meistens nicht nachvollziehen, wie lange sie noch gespeichert bleiben dürfen – in anderen Fällen waren Aufbewahrungsfristen falsch berechnet worden. Aufgrund dieses Datenchaos sei es für ihn „keine besondere Überraschung“gewesen, bemerkt Bäumler süffisant, daß von mindestens einer Person Lichtbilder aus einer erkennungsdienstlichen Behandlung vorgelegen hätten, obwohl dem Betroffenen offiziell mitgeteilt worden war, alle Unterlagen seien längst vernichtet worden.

Vielfach, so Bäumlers Resümee, habe sich der Staatsschutz wie „ein Nachrichtendienst verhalten.“Das verfassungsungskräftige Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei sei ignoriert worden, indem nicht nur „konkrete Daten“über Strafverdächtige, sondern auch Informationen „über Szenen und Gruppen“gespeichert worden seien. Zudem hätten die Staatsschützer „eine Auslegung der Vorschriften“betrieben, „die sich weder mit dem Wortlaut der Normen noch mit dem Willen der Gesetzgeber in Einklang bringen läßt.“

Der Kieler Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) räumte bereits die Mängel weitgehend ein und versprach Abhilfe. 169 der insgesamt 206 beanstandeten Einzelakten seien inzwischen „bereinigt“worden, in 37 Fällen bestehe noch Diskussionsbedarf. In Zukunft, versprach Wienholtz, werde die Speicherung personenbezogener Staatsschutz-Daten „nach klaren Kriterien erfolgen, die nachvollziehbar dokumentiert werden.“

Marco Carini

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