Vom Verschwinden der Akademiker

Vor allem Geisteswissenschaftler tauchen fast überall auf – nur nicht in der Arbeitslosenstatistik. Immer mehr bleiben an der Uni, promovieren, jobben oder übernehmen einen Werkvertrag nach dem anderen  ■ Von Jana-Michaela Baldauf

Doch nur ein Mythos? Der mufflige Germanist als ewiger Taxifahrer, die frustrierte Politologin in der Pommesbude, der gescheiterte Soziologe vor der nachmittäglichen Talkshow? Statistisch ja: Der durchschnittliche Geisteswissenschaftler wird seltener arbeitslos als der durchschnittliche Maschinenbauer.

Über 50.000 Ingenieure in diesem Land suchen nach Angaben der Frankfurter Zentralstelle für Arbeitsvermittlung einen Job. Demgegenüber stehen „nur“ 24.160 arbeitsuchende Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler.

Die nächstgrößere Gruppe der Suchenden sind Lehrer: 22.604 warten darauf, eines Tages doch noch in den Schuldienst übernommen zu werden. Über 11.000 Chemiker, Physiker und Mathematiker werden registriert sowie 7.288 Leute, die in sozialpflegerische Berufe wollen.

Mit Zahlenmaterial läßt sich auf den ersten Blick auch die These von der Akademikerschwemme nicht halten. Auch nach einer Absolventenbefragung des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover sind ein Jahr nach dem Ende des Studiums von jeweils 100 Absolventen lediglich zwei Germanisten arbeitslos, fünf Informatiker, sechs Wirtschaftswissenschaftler, acht Maschinenbauer. Laut den offiziellen Angaben der Bundesanstalt für Arbeit sind fünf Prozent der Akademiker arbeitslos – gegenüber 14 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Das HIS wirft allerdings auch einen Blick darauf, wo die Absolventen geblieben sind. Und der offenbart ein anderes Bild als das der Vollbeschäftigung: Einer regulären Beschäftigung gehen danach ein Jahr nach Ende des Studiums nur 68 Prozent der Maschinenbauer nach; und nicht einmal jeder zweite Germanist. Statt dessen wandern viele in Nischen ab: Über ein Drittel der Germanisten ist in Weiterbildung oder arbeitet an der Promotion, 16 Prozent haben Übergangsjobs, zehn Prozent Werkverträge.

Doch auch Mathematiker und Maschinenbauer verbleiben zu fast einem Drittel als Studenten oder Doktoranwärter. Den Rekord halten die Biologen: 69 von 100 bleiben an der Uni. Die Tendenz ist sinkend. „Der Nachwendeboom ist vorbei“, konstatiert Karl-Heinz Minks, Projektleiter Absolventenforschung beim HIS. Der Mauerfall hatte auch den akademischen Arbeitsmarkt vorübergehend enorm entlastet. Juristen fanden massenhaft Stellen in mehr oder weniger seriösen Weiterbildungsvereinen, die in den neuen Ländern über die bundesrepublikanische Gesetzeslage dozierten. Unzählige Sozialwissenschaftler verdienten an Forschungsprojekten zu sogenannten „Transformationsprozessen“ oder über den Ostler als solchen. Auch Wirtschaftswissenschaftler machten sich zu Tausenden auf, die Absatzchancen im Osten zu testen. „Das hat sich auf dem Arbeitsmarkt enorm bemerkbar gemacht“, so Minks.

Daß die Statistik gerade bei den vermeintlich brotlosen Künsten immer noch eine vergleichsweise niedrige Arbeitslosigkeit aufweist, führt Minks eher auf die psychologische Verfaßtheit zurück: „Geisteswissenschaftler werden alles mögliche, nur nicht arbeitslos.“ Statt dessen würden viele oft über Jahre „holprige Wege“ gehen: unter schwierigen Bedingungen für wenig Geld arbeiten, Jobben, Werkverträge annehmen. Ähnliches gilt auch für Wirtschaftswissenschaftler – nach dem Motto „Geschäfte machen kann man immer“. Und so läßt sich auch die seit Jahren hohe Arbeitslosenrate unter Ingenieuren erklären: Die Ausweichmöglichkeiten sind begrenzt; der Gang zum Arbeitsamt liegt nahe.

Dabei läßt sich bei letzteren anhand der jüngsten Untersuchungen ein eindeutiger Unterschied zwischen Ost und West feststellen: Absolventen aus den neuen Ländern haben es leichter, einen Job zu finden. Minks führt das nicht nur auf die immer noch billigere Arbeitskraft der Ostdeutschen zurück. „Viele sind besser qualifiziert. Das mag auch noch damit zu tun haben, daß die Lehrstrukturen in der DDR in diesem Bereich besser waren.“ Ein weiterer Grund sei, daß die Absolventen aus den ostdeutschen Ländern eher bereit seien, Stellen anzunehmen, die nicht so ganz ihrem Geschmack entsprächen. Besserung ist nicht in Sicht: Die Bund- Länder-Kommission für Bildungsplanung prognostiziert, daß im Jahr 2000 eine Million Akademiker nicht entsprechend ihrer Qualifikation eingestellt werden können. Klar ist aber auch, daß sie immer noch besser wegkommen als alle anderen. Minks rät deshalb auch entschieden davon ab, nun nicht mehr zu studieren. Oder antizyklisch zu studieren, in dem vermeintlichen Wissen, in diesem oder jenem Bereich in fünf Jahren einen Job zu bekommen. „Kein Mensch kann wissen, wie sich das entwickelt. Die Leute sollen studieren, wozu sie Lust haben. Aber sie sollen sich Ziele setzen.“