piwik no script img

Die Sucht, sich besoffen zu arbeiten

Ob aus Idealismus, Existenzangst oder Geltungssucht: Workaholics gefährden nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern zerstören oft auch das Betriebsklima. Die Therapie dauert Jahre – denn Abstinenz ist nicht drin  ■ Von Tanja Hamilton

Als sie sich das letzte Mal einen Urlaub gönnte, brach sie ihn vor- zeitig ab – nach einer Woche wußte sie nichts mehr mit sich anzufangen. Freunde, sagt sie, hat sie eigentlich gar keine mehr, und ihre Bekannten kann sie mittlerweile an einer Hand abzählen. Yvonne Klein°st ist freiberufliche Grafikdesignerin. Seit zwei Jahren arbeitet sie fast ununterbrochen. Ihre Wohnung gleicht einem Büro; nicht selten ackert sie ganze Nächte durch. „Jetzt, wo die Aufträge endlich fließen, muß ich am Ball bleiben“, sagt sie. „Da muß das Privatleben eben eine Weile zurückstecken.“

Von Kollegen oft beneidet, von Vorgesetzten geliebt: Die soge- nannten „Workaholics“; Leute, die bis zum Umfallen arbeiten und bei denen der Job auf der Liste ihrer Prioritäten an allererster Stelle steht. Doch was zunächst wie gesunder Ehrgeiz aussieht, den man nun mal braucht, um nach ganz oben zu kommen, kann zu einer regelrechten Sucht werden. „Menschen, die arbeitssüchtig sind, können sich richtig besoffen arbeiten“, sagt der Frankfurter Psychologe Werner Gross, der mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht hat. „Sie geraten in einen Rauschzustand, erleben es als lustvoll, drei Telefongespräche auf einmal zu führen und dabei das Gefühl zu haben, sie hätten alles im Griff.“

Im Gegensatz zu gesunden Überfliegern können Arbeitswütige Ruhepausen nicht ertragen. Sie arbeiten bis zur Erschöpfung und bekommen, wenn sie nicht beschäftigt sind, regelrechte Entzugserscheinungen. Sie werden aggressiv, unruhig oder depressiv. Haben sie ein Projekt abgeschlossen, kommt die große Angst vor dem schwarzen Loch. Sofort wird die nächste Aufgabe in Angriff genommen. „Dabei kommt es sogar oft vor, daß sie, um nicht untätig zu sein, Arbeit unnötig in die Länge ziehen“, so Buchautor Rainer Schwochow, der zahlreiche Interviews mit Arbeitssüchtigen geführt hat.

Anfangs sind Workaholics ein wahrer Segen für jeden Chef. Bereitwillig, und oft genug ohne Bezahlung, schieben sie Überstunden und übernehmen auch ungeliebte Aufgaben, die sonst keiner machen will. „Auf die Dauer aber zerstören sie jedes Betriebsklima“, sagt Peter Berger, Leitender Psychologe der Hardtwaldklinik für psychosomatische Krankheiten in Bad Zwesten. Ihr Arbeitsstil ist zwanghaft und ineffektiv. Aus dem Ehrgeiz heraus, alles perfekt erledigen zu wollen, verlieren sie die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Als Vorgesetzte wirken sie demotivierend, weil sie Mitarbeiter scharf kontrollieren und schlecht delegieren können. Im Team können sie oft nicht kooperieren und werden Kollegen gegenüber extrem rücksichtslos. „Viele von ihnen sind bereit, über Leichen zu gehen“, so Gross.

„Leider scheinen viele Leute immer noch zu glauben, daß Arbeitszeit und Output in einem linearen Zusammenhang stehen“, folgert der Bonner Psychologe Stefan Poppelreuter, der die bisher umfangreichste Studie zu Arbeitssucht erstellt hat. Zuviel Arbeit führe aber zu immer schlechteren Leistungen. Körper und Seele fordern ihren Tribut: Workaholics leiden oft an Konzentrationsschwäche; sie vernachlässigen ihre Ernährung, entwickeln psychosomatische Krankheiten wie Magengeschwüre und Herz-Kreislauf-Störungen. Viele versuchen den Leistungsknick durch Medikamente wieder wettzumachen oder flüchten sich in Alkohol. In Japan gibt es bereits einen Begriff für Tod durch Überarbeitung – Karoshi.

„Höchstens ein Drittel der Patienten kommt vor dem Zusammenbruch zur Therapie“, so Gross. „Die meisten haben schon sämtliche sozialen Kontakte verloren, der Partner hat sich längst verabschiedet.“ Doch selbst dann wollen viele noch nicht einsehen, daß ihre Probleme von einer falschen Einstellung zur Arbeit herrühren.

Viele Workaholics verwechseln gesellschaftliche Anerkennung mit menschlicher Nähe und Zuneigung. Doch entgegen dem Klischee ist Geltungssucht oder Prestige nicht immer die Hauptmotivation. Manche überarbeiten sich auch aus Idealismus: „Zu uns kommen viele Pastoren, Lehrer, gescheiterte 68er“, sagt Berger. Die „gute Seele“ zu sein, die für höhere Ziele kämpft, gibt ihnen das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden. In Zeiten steigender Arbeitslosigkeit ist es aber auch oft die nackte Angst, die Leute an die Grenzen ihrer Belastbarkeit treibt.

Für Schwochow liegt die Hauptursache für die Sucht aber in der gesellschaftlichen Bewertung von Arbeit. Der Status eines Menschen definiere sich in der Hauptsache über seine berufliche Position. „Für ein harmonisches Familienleben bekommt keiner große Anerkennung.“

Um ihre Krankheit überwinden zu können, müssen Betroffene in der Regel einen kompletten Wertewandel durchmachen: Abstinenz ist bei Arbeitssucht nicht möglich. „Sie müssen ein neues Gleichgewicht finden, in dem arbeitsfreie Genußinseln verbindlich eingeplant werden“, sagt Berger. Dazu brauchen die Patienten oft mehrere Jahre.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen