Das Dilemma der Nato

■ Helsinki-Gipfel: Rußland mißtraut der Nato

Die 18 sowjetisch/russisch-amerikanischen Gipfeltreffen seit November 1989 brachten neben zahlreichen Vereinbarungen einen steten Zuwachs an wechselseitigem Vertrauen. In Helsinki entstand gestern erstmals der Eindruck von Stagnation und Rückschritt. Auf russischer Seite ist das Vertrauensverhältnis durch die Pläne zur Nato-Osterweiterung erschüttert worden. Die Klagen des Kreml nun als taktisches Mannöver zur Ruhigstellung der nationalistischen Opposition in der Duma abzutun wäre deshalb ein Fehler.

Bei den Verhandlungen über die Vereinigung von BRD und DDR 1989/90 wurden Moskau von den damaligen Außenministern Baker (USA) und Genscher (BRD) „eisenfeste Garantien“ versprochen: Weder die Jurisdiktion der Nato noch ihre Truppen werden weiter nach Osten verschoben, wenn Moskau die Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands in der Nato akzeptiert. Gorbatschow hatte diesen Versprechen ebenso vertraut wie den bis heute unerfüllt gebliebenen Zusicherungen zum Ausbau der KSZE zu einer gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur unter gleichberechtigter Beteiligung Moskaus.

Die Frage nach der künftigen Rolle Rußlands wird auch dann noch auf der Tagesordnung stehen, wenn Präsident Jelzin – worauf vieles hindeutet – der Osterweitung der Nato zustimmen sollte. Auch eine Zustimmung Moskaus wird die Nato nicht aus ihrem Dilemma befreien: Ihre Versicherung, für alle osteuropäischen Staaten – inklusive ehemaliger Sowjetrepubliken – offen zu sein, ist zwar graue Theorie, nach den bereits geschürten Erwartungen aber nicht mehr revidierbar. Gleichzeitig findet die Nato keine überzeugenden Kriterien für eine unterschiedliche Behandlung der 14 Beitrittskandidaten. Und sie kann nicht offiziell verkünden, was Clinton Jelzin zumindest insgeheim versprechen muß, will er Moskaus Zustimmung zur Osterweiterung haben: Eine Nato-Mitgliedschaft von Exrepubliken der alten Sowjetunion bleibt vorläufig ausgeschlossen. Ein solches Versprechen, das sich natürlich nicht geheimhalten läßt, könnte destabilisierend auf die betroffenen Staaten wirken und den Verdacht auf ein „neues Jalta“ nähren. Die baltischen Demonstranten in Helsinki, aber auch Zeitungen in Polen und Tschechien haben dies bereits geäußert. Andreas Zumach