Totgestochen wegen einer Kleinigkeit

■ Ein türkischer junger Mann erstach einen 15jährigen Libanesen nach einem Streit. Dessen Vergehen: Er und sein Freund hatten im BVG-Bus die Freundin des Türken angesprochen

Es war ein nichtiger Anlaß, doch der Streit endete tödlich: Der 16jährige Libanese Ali El A. und sein 15jähriger Freund Hatem A. sprachen im BVG-Bus die Freundin eines türkischen jungen Mannes an. Der wies die beiden darauf hin, daß die Frau zu ihm gehöre. Der etwa 20jährige Türke, der sich in Begleitung eines gleichaltrigen Landsmannes befand, forderte Ali El A. und Hatem A. auf, an der nächsten Haltestelle mit ihnen auszusteigen. Dem kamen die beiden Libanesen nach, weil sie dort ohnehin aussteigen wollten. Laut Polizeibericht kam es an der Bushaltestelle „Kleistpark“ in Schöneberg dann zu einer verbalen Auseinandersetzung und einer „Schubserei“. Als der Täter ein Messer zog, flüchteten die beiden Libanesen. Doch Ali El A. stolperte, der Täter holte ihn ein und stach von hinten auf ihn ein. Hatem A., der seinem Freund zur Hilfe eilen wollte, wurde ebenfalls niedergestochen. Er starb noch am Tatort.

Die Polizei teilte den Vorfall, der sich bereits am Donnerstag abend gegen 20 Uhr ereignete, erst am Samstag mit. Den Tathergang konnte sie durch Berichte von zwei Augenzeugen rekonstruieren. Als Zeuge sucht die Polizei vor allem einen 25jährigen Türken, der versuchte, den Streit zu schlichten. Auch Fahrgäste des Busses 148 könnten den Tathergang beobachtet haben. „Der Anlaß, die eigene Ehre zu verteidigen, nur weil einer die Freundin anguckt, ist ein sehr geringer Grund zuzustechen“, erklärte gestern Gerd Hasse von der zuständigen Mordkommission. Die beiden Türken und die 16jährige deutsche Freundin seien nach der Tat geflüchtet. „Möglicherweise weiß der Täter nicht, daß er jemand umgebracht hat“, so Hasse. Es werde offenbar unterschätzt, wie schnell man jemand mit einem Messer tödliche Wunden zufügen könne.

Es sei typisch, daß es unter Jugendlichen wegen solcher „Nichtigkeiten“ zu Auseinandersetzungen komme, kommentierte der Sozialwissenschaftler und Kriminologe Claudius Ohder die Tat. An solchen Konfrontationen bauten junge Männer Identitäten auf; es ginge darum, sich zu beweisen, sein Territorium zu verteidigen. „Wenn da ein Knopf gedrückt wird, geht die Rakete hoch.“ In diesem Alter träten Jugendliche häufig betont machohaft auf.

Der Kriminologe, der sich an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege mit Jugendgewalt befaßt, betonte aber, daß nur ein kleiner Teil der Jugendlichen gewalttätig werde. „Die meisten Jugendlichen sagen, sie planten nicht, ihre Waffe auch einzusetzen, sondern sie führten sie nur zur eigenen Verteidigung mit sich.“ Ein Polizeibeamter sagte dagegen: „Die Messer sitzen sehr locker.“

Nach der Kriminalstatistik ist die Beteiligung von Jugendlichen an Raub und schwerer Körperverletzung tendenziell steigend. Fälle von Totschlag gibt es aber nur vereinzelt. Insgesamt ist die Zahl der Tötungsdelikte in Berlin seit Jahren recht konstant. Dorothee Winden