Das Portrait: Die Eisenhärteste auf dem Kunsteis
■ Tara Lipinski
Die Preisrichter hatten am Ende keine Wahl: Sie mußten schon aus sportlichen Gründen die Kür der US- Amerikanerin Tara Lipinski sehr hoch bewerten. Nur in den sogenannten künstlerischen Posen hatte ihre Konkurrentin und Titelverteidigerin Michelle Kwan die besseren Noten. Nach ihrer technisch makellosen Vorstellung in der Kurzkür reichte dies der 14jährigen Eiskunstläuferin am Samstag bei den Titelkämpfen im schweizerischen Lausanne zum WM- Titel. Damit ist sie, das Girl aus dem texanischen Sugar Land, die jüngste „Eiskönigin“ (US Today) aller Zeiten.
Das Urteil der Kritiker fiel naturgemäß zwiespältig aus: Darf eine 14jährige, die laut TV-Sender Eurosport „wie eine Neunjährige aussieht“, die beste der Damenkonkurrenz werden? So tun, als sei sie eine Frau? Derlei kulturkritische Erwägungen fechten Tara Lipinski nicht an. Sie weiß seit ihrem elften Lebensmonat, wie es sich auf Kufen läuft, teilte schon als Sechsjährige mit, einmal Weltmeisterin werden zu wollen, und trainiert dementsprechend konsequent auch ohne elterliche Schubserei. Bei Nachwuchswettbewerben gewann sie nur selten, aber im Gegensatz zu ihren damaligen Bezwingerinnen wollte sie wirklich ganz nach oben – sportlich vor allem.
Der Legende nach soll sie nie ihr Training beenden, ehe sie nicht alle der sechs verschiedenen Sprünge mit dreifacher Rotation fehlerlos geschafft hat. Selbst ihre Trainer und Eltern können sie nicht vom Training abhalten.
Insofern ist die Kritik an diesem „All american girl“ (New York Times), als Mädchen nicht Frau sein zu dürfen, verfehlt: Eiskunstlaufen lebt von Illusionen, von Masken und Posen, Kostümen und Make-up. Und Lipinski lebt diese Mixtur perfekt. Nur Europäer kommen auf die Idee, eine Barbiepuppe für geschmacklos zu halten. In ihrer Heimat wird respektiert, daß eine kaum 1,50 Meter große und 36 Kilogramm spindelleichte Sportlerin einfach ein Champ ist, wenn sie die Beste ist. Lipinski hofft nun, daß sie trotz anhaltender Pubertät nicht weiter wächst. Sonst müßte sie ihre Sprünge aufgrund veränderter biodynamischer Körperverhältnisse neu einstudieren. Denn nächstes Jahr will sie Olympiasiegerin werden. Möglich, daß sie dann nicht mehr ganz oben auf dem Treppchen stehen wird. An diesen Fall, so die junge Frau nach der Siegerinnenehrung, denke sie gar nicht erst: „Ich muß mich nicht mehr beweisen.“ Jan Feddersen
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