: So richtig rollt der Rubel hinter dem Altar
Mit dubiosen Geschäftspraktiken fährt die russische orthodoxe Kirche Millionengewinne ein. Die Kleriker kontrollieren über zehn Prozent des einheimischen Tabakmarktes. Auch im Ölhandel machen sie satten Profit ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
„Des Popen Bart hängt immer in der Butter“, behauptet eine russische Volksweisheit. Offenbar hatte der orthodoxe Klerus seit jeher ein ungezwungenes Verhältnis zu den elementaren Bedürfnissen im Diesseits. Schenkt man dem russischen Historiker Kljutschewski Glauben, wirkte der Klerus im 16. Jahrhundert gar wie ein „schwarzer Schatten im Leben Rußlands“. Der Mönch verkörperte „den servilen Schmeichler und Jasager der Regierung, der sich den Armen gegenüber hochmütig verhält. Ein Dieb und Lehrer der Diebe, ein Nichtstuer, Säufer und Vielfraß, der sich von den Tränen der Bauern ernährt und von unersättlicher Geldgier erfüllt ist.“ Spätere Jahrhunderte bezeugen einen Wandel. Das Image der Mönche verbesserte sich, Klöster reiften zu den einzigen Zentren der Gelehrsamkeit heran.
Bis hinauf zu hohen Würdenträgern verdienen sich Priester auch heute wieder ein Zubrot. Sie weihen Limousinen der neuen Reichen oder schwingen das Rauchfäßchen in frisch eröffneten Bankhäusern. Gegen ein bescheidenes Salär, weil auch die Kirche – wie der russische Staat – ihren Angestellten nicht mit gebotener Regelmäßigkeit den Lohn auszahlt.
Anders als andere christliche Konfessionen belegt die russische Orthodoxie ihre Gläubigen nicht mit Steuern. Sie finanziert sich aus Einnahmen, die eigene Unternehmen mit Ikonen, Kerzen und sakralem Zierat erwirtschaften. Einen beträchtlichen Teil steuern die Gläubigen dennoch bei. Je nach Geldbeutel entrichten sie einen freiwilligen Obolus.
Soweit die offizielle Version, die das Moskauer Patriarchat, die Zentrale der russisch-orthodoxen Kirche, gebetsmühlenartig wiederholt, sobald nach Einkünften gefragt wird. Das Patriarchat möchte am vorteilhaften Selbstbild festhalten. Schließlich ist eine Gemeinschaft, die nur vom Opferwillen ihrer Mitglieder lebt, nicht nur einzigartig, sie belegt überdies, welch innige Bande Fußvolk und Oberhirten verknüpfen.
Die Kirchgänger verhielten sich im letzten Jahr allerdings ungewohnt knauserig. Patriarch Alexej II. räumte in seinem Bericht ein, daß die Einnahmen aus der Kollekte von 43 auf 0,6 Prozent gesunken seien. Ein dramatischer Rückgang, der in der freien Wirtschaft einem Untergang gleichkäme: Der Kunde hat das Interesse am Produkt verloren. Wie sich herausstellte, befindet sich das Patriarchat aber eher in einer Vertrauens- denn in einer Finanzkrise. Die Gewinne der Kirche können sich nämlich sehen lassen, nur erscheinen sie nicht wie vom Gesetzgeber verlangt in der Bilanz.
Unter dem Dach des Departements für auswärtige Beziehungen im Moskauer Danilowski-Kloster wuchs ein respektables Unternehmen heran, das mit allem handelt, was sich versilbern läßt: Zigaretten, Wodka, Diamanten, Öl und Buntmetalle. Als der Skandal ruchbar wurde, mißachtete die Geistlichkeit auch das biblische Gebot. Sie dementierte. Ihre weltlichen Geschäftspartner indes redeten freimütig. Darunter der Verband der Tabakimporteure: 1996 avancierten die Kleriker zum konkurrenzlosen Branchenführer, der über zehn Prozent des Markts kontrolliert. „Kein Importeur kann auf ein ähnlich großes Kontingent verweisen“, meint Verbandschef Wladimir Smirnow. Die Öffentlichkeit war empört. Nicht, daß sie der Kirche Gewinnsucht unterstellte oder sie an den Kern ihrer Lehre gemahnte. Allein womit sie Geld verdient, erregte Anstoß. Statt den moralisch kränkelnden Volkskörper zu therapieren, trägt die sittenstrengste aller Instanzen noch zur physischen Schwächung bei. Tabak und Alkohol garantieren in einem Land mit überdurchschnittlich vielen Alkoholikern todsicheren Profit.
Schuld trifft auch den Staat. Großzügig teilte er Steuer- und Zollbefreiungen für Ex- und Importe aus, die gewöhnlich als „humanitäre Hilfe“ deklariert wurden. Auch andere gemeinnützige Organisationen, der Nationale Sportfonds und die Invalidenverbände der Afghanistanveteranen, gerieten in den Genuß staatlicher Freizügigkeit und schnell in die Fänge der Unterwelt. Sportfonds und „Afghanen“ wurden zu einem Synonym für Mafia. Ist die Kirche davor gefeit, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu werden? Fragen Kritiker. Die Überlegungen des Staates machten zunächst Sinn. Gemeinnützige Organisationen sollten vom langwierigen Haushaltsprozedere abgekoppelt werden und schnell Hilfe erhalten. Im letzten Jahr verlor der Fiskus durch die Tabaktransaktionen der Kirche rund 66 Millionen Mark an Steuern, 42 Millionen schrieb sich der Klerus gut.
Kleingeld, verglichen mit dem, was das Ölgeschäft abwirft. Die Finanzabteilung des Patriarchats besitzt vierzig Prozent der Aktien der Firma MES, die sie zusammen mit der ehemaligen Sowchose „Weg zum Kommunismus“ gründete. 1995 wickelte diese Firma etwa acht Prozent des gesamten russischen Ölexports ab – rund sechs Millionen Tonnen. Auch MES genießt viele Steuererleichterungen. Die Gewinne tauchen in der Kirchenbilanz nicht auf. Und das wohl zu Recht. Erzbischof Sergej, Chef der Management-Abteilung im Patriarchat, behauptet stur: „Die russisch-orthodoxe Kirche war nie in Geschäfte mit Öl verwickelt und ist es auch heute nicht.“ Vielmehr habe die Synode Priestern geraten, sich nicht an kommerziellen Aktivitäten zu beteiligen. Weshalb sitzt Erzpriester Wiktor dann im Aufsichtsrat der Firma MES, die jährlich mehrere hundert Millionen Gewinn einspielt? Wohl erst das Jüngste Gericht wird all die Ungereimtheiten klären.
Anscheinend ist MES nicht die einzige Firma, die sich mit dem Ölexport im Auftrag der Kirche beschäftigt. Patriarch Alexej II. wandte sich kürzlich mit der Bitte an Präsident Jelzin, er möge ihm die Ausfuhr von 650 Tonnen abgabenfrei gestatten, um eine Ikonensammlung zu erwerben. MES organisierte diesen Deal nicht.
Die staatlichen Vergünstigungen können indes jeden Moment aufgekündigt werden. Sportfonds und „Afghanen“ hat das Schicksal schon ereilt. Die Kirche sicherte sich ab. Nicht immer bewies sie dabei den notwendigen wirtschaftlichen Sachverstand, wie die Gründung einiger Banken zeigte. Die Russische Christliche Bank hat ihre Pforten wieder schließen müssen. Hunderttausende Kirchgänger verloren ihre Ersparnisse. Erzbischof Sergej leitete die Geschicke des Finanzinstitus, allerdings zweifelte dessen Pressesekretär, „daß seine Hoheit über die Aktivitäten der Bank informiert ist“. Grund genug für die Kommission, die russische Finanzeinrichtungen klassifiziert, das Geschäftsgebaren der geistlichen Banken unter die Lupe zu nehmen. Ihr Fazit: Alle rangieren im unteren Bereich der Seriosität und Bonität.
Im Sommer vergangenen Jahres besuchte der Patriarch das sibirische Jakutien, wo Rußlands mächtigste Diamantenvorkommen lagern. Eine neue Mine wurde geweiht und ihrer Bestimmung übergeben. Nichts Ungewöhnliches. Nur stutzen ließ: Der Patriarch teilte seinen Segen aus, während Schamanenpriester um ihn herum tanzten und heidnische Bräuche zelebrierten. Der orthodoxe Kanon sieht Kooperation und Gemeinschaftsgottesdienste mit Repräsentanten animistischer Religionen nicht vor. Genauer, er geißelt dergleichen als eine Todsünde. Im Februar bestätigte die Bischofsversammlung sogar ihr Verdikt gegenüber anderen christlichen Glaubensrichtungen, wonach eine gemeinsame Messe untersagt ist und fast wie ein Akt der Blasphemie eingestuft wird: „Verabscheuungswürdig“, erklärte Metropolit Filaret von Minsk, „weil es die religiöse Indifferenz fördert oder gar zur Versuchung der Gläubigen führt.“ Was in aller Welt ließ den hochkarätigen Gottesmann zum Frevler werden?
Vorsichtige Berechnungen veranschlagen die Reingewinne der Kirche in den letzten Jahren auf 1,4 Milliarden Mark. Wo sind die Gelder hingeflossen? Priester Gleb Jakunin behauptet, weder ein Kloster noch eine einzige Kirche seien damit restauriert worden. Lediglich das Prestigeobjekt, die Christi- Erlöser-Kirche, werde bedacht. Das ehrgeizigste Bauprojekt der Hauptstadt soll bis zur 850-Jahr- Feier Moskaus im Sommer wiedererstehen. Die Kathedrale, die Stalin 1931 vom Erdboden tilgte, ist denn auch mehr als ein Gotteshaus. Im Zentrum auf einem eigens gegossenen Sockel gelegen, macht es sich die gesamte Umgebung untertan. Für die Kirche und eine ganze Reihe Politiker versinnbildlicht der Kraftakt die Wiedergeburt Rußlands – den in Stein gemauerten Anspruch auf eine Führungsrolle in der Welt.
Der Appetit der Klerikalen ist kaum zu stillen. Zunächst wollten sie nur Freiheit, dann exklusive Bedingungen, die der Orthodoxie einen Sonderplatz über andere Religionsgemeinschaften sichern sollten. Jetzt wünschen sie die gesetzliche Verankerung als Staatsreligion. Ginge es nach ihnen, übernähmen sie danach die ideologische Leitzentrale des Staates. Die Kuppeln der Kathedrale überragen die des Kremls schon heute.
Gleb Jakunin ist seit Jahren die Frontfigur der liberalen demokratischen Priesterschaft. Nur ein paar Seelen haben sich dem Abgeordneten der Staatsduma angeschlossen. Jakunin wird dennoch nicht müde, die Kirche zu mehr Toleranz zu drängen und sich den Erfordernissen der Zeit zu öffnen. Bisher erfolglos. Auch den Generalstaatsanwalt, den der Quergeist mehrfach aufforderte, den dubiosen geistlichen Geschäftspraktiken nachzuforschen, konnte er nicht überzeugen. Mit der Kirche möchte es sich der Staat nicht verderben. Zumal dem streitbaren Priester der Geruch eines Nestbeschmutzers anhaftet. Unbeliebt machte er sich schon Anfang der neunziger Jahre. Damals verbreitete er Archivmaterialien, die die unrühmliche Rolle der Kirche im Bolschewismus und die tiefe Verstrickung des oberen Klerus mit dem sowjetischen Geheimdienst, dem KGB, bewiesen. 1994 entzog ihm das Patriarchat die Priesterwürde. Offizielle Begründung, geistliches Amt und politisches Mandat seien miteinander unvereinbar. Unterdessen können Würdenträger, die Kommunisten und Chauvinisten unterstützen, mit göttlicher Güte rechnen. Rechtsextremist Alexander Bakaschow nutzt sogar die Abgeschiedenheit eines Klosters, um paramilitärische Einheiten zu trimmen.
Die Erzpriester hatten mit Jakunin auch diesmal kein Einsehen. Sie verhängten kurzerhand den Bann über ihn. Auf den Tag genau 96 Jahre nachdem Rußlands literarisches Gewissen Leo Tolstoi aus der Gemeinschaft der Gläubigen exkommuniziert worden war. Der Tiefgläubige hatte sich vor allem einen unverzeihlichen Fehler zuschulden kommen lassen. Er wagte, die reine Kirchenlehre mit der garstigen sozialen Realität im Rußland der Jahrhundertwende zu konfrontieren. Eigentlich erinnerte Tolstoi nur an die sozialen Grundlagen des Christentums, wofür sich die Orthodoxie nie zuständig fühlte. Ihre engen – nicht immer freiwilligen – Bande mit der weltlichen Macht erschwerten es ihr auch. Doch gibt es bis heute keinen Entwurf einer Wirtschafts- und Sozialethik.
Mittlerweile hat sich die Heilige Synode dazu durchgerungen, mit Beginn des neuen Jahrtausends auf drängende ethische und gesellschaftliche Herausforderungen Antworten vorzulegen. Doch wird es so weit kommen? Die nationalistisch-rechtgläubigen Kräfte lehnen Erneuerung strikt ab. Selbst an der Liturgie wird festgehalten. Versuche junger Geistlicher, den Gottesdienst in Russisch abzuhalten statt im Altkirchenslawisch, wurden rigoros geahndet. Man zwang die Priester, durch Androhung der Exkommunikation ihr revolutionäres Treiben aufzugeben.
Die Kirche manövriert sich immer weiter in eine ausweglose Lage. Die Jugend sucht bei ihr schon lange keinen Sinn mehr. Eher wenden sich junge Menschen Sekten und fragwürdigen Heilspropheten zu. Die alten Herren begreifen nicht, daß deren Erfolg ihr eigenes Versagen belegt. Ihre Sprache ist das Verbot. Ihr Lehrer war die Kommunistische Partei. Je mehr die Ratlosigkeit wächst, desto unversöhnlicher reagiert der Klerus. Stimmen häufen sich, die Rußland am liebsten wieder hinter einem Eisernen Vorhang verschwinden ließen. Die politische Couleur der Macht wäre dabei nebensächlich. Hauptsache Stillstand. Auf einer Versammlung der schwarzen Hundertschaften, faschistoider und antisemitischer Organisationen, ließ sich Metropolit Kyrill dazu herab, den Segen der Atombombe zu preisen. Derselbe Kyrill, der die Abteilung der Außenbeziehungen des Patriarchats leitet, die Orthodoxie in der Ökumene vertritt und in letzter Instanz für die Geschäftspraktiken der Kirche verantwortlich zeichnet. Böse Zungen nennen ihn den Paten des Patriarchats. In ihm vereinen sich ideologischer Führungsanspruch und imperialer Messianismus – das Ziel heiligt die Mittel. Trotz allem gehört er im Kreise der Würdenträger noch zu den Gemäßigteren, die einen endgültigen Bruch mit der Ökumene nicht wünschen.
Die orthodoxe Kirche hat selten materielle Not gelitten. Im Gegenteil. Nur eins verstand sie nie, von unproduktiver Schatzbildung zum profitablen Wirtschaften überzugehen. Hier hat sie in der Tat eine Menge dazugelernt.
Alfred Müller Arnack, der den Begriff der sozialen Marktwirtschaft prägte, stellte in einer Untersuchung fest, Anhänger der Rechtgläubigen, wechseln sie einmal zu einer anderen Konfession, holen den wirtschaftlichen Rückstand schnell auf. Sollte das Patriarchat innerlich konvertiert sein?
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