: Jeder will der Größte sein
Thyssen übernimmt die Führung im geplanten deutschen Stahlriesen mit Krupp. Zukunft der Arbeiter unklar. SPD will Bankenrecht ändern ■ Von Ulrike Fokken
Berlin (taz) – Die Kunst des Führens besteht darin, auch Niederlagen als Erfolg zu verkaufen. Also fanden gestern die Krupp- Hoesch AG und die Thyssen AG nur lobende Worte über die Einigung, ihre Stahlsparten zusammenzulegen. Am späten Montag nachmittag hatten sich Krupp- Vorstandschef Gerhard Cromme und sein Kollege Dieter Vogel von Thyssen darüber verständigt. Die ursprünglich von Cromme geplante und eingefädelte Übernahme des gesamten Thyssen- Konzerns ist somit vom Tisch.
„Wichtig ist allein die Tatsache, daß über ein Zusammengehen Einigkeit erzielt wurde“, sagte gestern ein Sprecher von Krupp. Seit Anfang der achtziger Jahre habe man versucht, die Stahlsparten zu bündeln, und sei „nie richtig zu Potte gekommen“. Durch die angekündigte feindliche Übernahme sei nun eben der richtige Druck entstanden, richtige Entscheidungen zu fällen. „Wer da die Führung übernimmt, spielt keine Rolle“, sagt der Sprecher.
Thyssen soll das Sagen haben im geplanten deutschen Stahlriesen. „Weil wir die Stärkeren sind“, sagt der Sprecher der Thyssen AG. Der Konzern, der ursprünglich zerschlagen werden sollte, steigt nun zum drittgrößten europäischen Stahlkonzern auf. Moderne Werke und finanzielle Rücklagen in Milliardenhöhe könnten Krupp bewogen haben, von der Übernahme Thyssens abzusehen. Außerdem wäre es teurer geworden als gedacht: Erst vor wenigen Wochen hatte die Thyssen-Hauptversammlung eine Aufstockung des Kapitals genehmigt. Für rund 500 Millionen Mark Nennwert hätte der Konzern damit neue Aktien ausgeben dürfen. Jede Aktie hätte Krupp-Hoesch zum Börsenwert oder darüber teuer kaufen müssen. Damit hätten die Essener die von den Banken genehmigte Kreditlinie für die feindliche Übernahme von mindestens 13,6 Milliarden Mark nicht halten können.
Ein Beobachter der Verhandlungen zwischen Cromme und Vogel vermutet daher, daß „die Skepsis bei den Banken immer größer geworden ist, nachdem immer mehr Einzelheiten des Finanzierungskonzepts bekanntgeworden sind“. Mit der jetzigen vorläufigen Stahlfusion braucht Krupp keine Kredite aufzunehmen. Und spart zusätzlich Geld. Thyssen und Krupp rechnen mit 75 Prozent Synergieeffekten durch die Stahlehe. Zu einem Großteil überschneiden sich also die Tätigkeiten an den Hochöfen und in der Verwaltung, lassen sich Kosten im Einkauf und der Verarbeitung des sogenannten Massenstahls sparen.
Zu den einzelnen Standorten wollten gestern weder Thyssen noch Krupp etwas sagen. Immerhin verhandeln ihre Vorstandsvorsitzenden weiter an dem unbekannten Ort in Nordrhein-Westfalen. In einigen Tagen werden die Eckpunkte der Stahlfusion vorliegen. Wann die Fusion wirksam wird und in welcher Form, ist damit ebenso unbekannt wie die Stillegung von Hochöfen oder den Warmbreitbandstraßen der beiden Konzerne in Dortmund, Bochum und Duisburg. Schon vor der geplanten Fusion hatten Thyssen und Krupp den Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt. Bei Thyssen werden in den kommenden Jahren 6.000 Stellen gestrichen, bei Krupp-Hoesch rund 2.200. „Wie viele Arbeitsplätze darüber hinaus wegfallen, kann man jetzt noch nicht sagen“, meinte ein Sprecher von Krupp gestern.
Derweil haben Politiker in Bonn eine neue Diskussion über die Macht der Banken ausgelöst. Die SPD forderte, daß Banken nur noch mit höchstens fünf Prozent an Unternehmen beteiligt sein dürften. Außerdem sollte ihren Vertretern verboten werden, Aufsichtsräte in konkurrierenden Unternehmen zu stellen. Abschaffen will die SPD auch das Depotstimmrecht der Banken. Hans-Martin Bury, eigentlich postpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sprach gar von einem „demokratisch nicht legitimierten Bankenkartell“.
Reportage Seite 15
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