: Sozialhilfe soll reformiert werden
■ Der Paritätische Wohlfahrtsverband legte Konzept vor. Waigel steht mit seinen Kürzungsideen alleine da
Berlin (taz) – Ein Konzept für eine Reform der Sozialhilfe hat der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) gestern vorgestellt. Die Sozialbürokratie soll verschlankt und statt der Sozialhilfe soll eine Grundsicherung gezahlt werden. Angesichts der zunehmenden Massenarbeitslosigkeit sei die Sozialhilfe nicht mehr dazu da, vorübergehende, indivduelle Notlagen abzufedern, sie sei vielmehr eine „Unterstützung für massenhafte und durchaus standardisierbare Notlagen“, sagte DPWV-Präsident Dieter Sengling.
Sozialhilfeemfänger, die gleichzeitig auch Arbeitslosenhilfe erhalten, sollten beides bei den Arbeitsämtern beantragen können. So würden die Sozialämter personell entlastet; etwa die Hälfte der 2,5 Millionen Sozialhilfeempfänger seien Arbeitslose, die auch Arbeitslosenhilfe beanspruchten. „In den Arbeitsämtern wird für diesen Personenkreis ohnehin die Bedarfsprüfung gemacht“, erläuterte Ulrich Schneider, DPWV-Geschäftsführer, gegenüber der taz. Für Rentner sollten die Rentenversicherungsträger zuständig werden. Ferner fordert der Wohlfahrtsverband ein Grundsicherungseinkommen, wie etwa die Bündnisgrünen auch. Die bedarfsorientiere Grundsicherung würde rund 20 Prozent über dem derzeitigen Sozialhilfesatz liegen. Kleidergelder und andere einmalige Leistungen sollten nicht mehr eigens beantragt und genehmigt, sondern als Pauschale gezahlt werden. Die derzeit gezahlte Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz decke nicht mehr das Bedarfsminimum.
Der Verband rechnete vor, daß der momentane Satz etwa fünf Prozent zu niedrig sei. Eine Anhebung auf den tatsächlichen Bedarfssatz koste zwar 14,5 Milliarden Mark mehr. Sie könnten aber durch eine Reform des Ehegattensplittings gedeckt werden. Nach Ansicht des Verbandes verursacht dieses gegenwärtig mehr als 30 Milliarden Mark Einnahmeausfälle. Demnächst wird der Paritätische Wohlfahrtsverband Gespräche mit den Parteien und den Kirchen aufnehmen, um für seine Reformideen Bündnispartner zu werben.
Finanzminister Theo Waigel (CSU) hatte am Wochenende vorgeschlagen, zur Vermeidung einer zu hohen Neuverschuldung angesichts der Maastricht-Kriterien auch bei der Sozialhilfe weiter zu streichen. Nicht nur die SPD und die Grünen, auch Vertreter des Arbeitnehmerflügels der CDU lehnten eine weitere Kürzung bei der Sozialhilfe ab. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle warf Waigel eine „völlig unzulässige Verknüpfung von Sozialhilfekürzung und Euro“ vor.
Aus Bonner Kreisen hieß es, der zuständige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) strebe derzeit wohl kaum eine Neuauflage des Streits um die Sozialhilfe an. Änderungen bei der Sozialhilfe bedürfen der Zustimmung durch den SPD-dominierten Bundesrat. Die Sozialhilfereform 1996 war erst nach langem Ringen in den Vermittlungsausschüssen verabschiedet worden. Im Vergleich zu den Milliardenlöchern ist das Einsparpotential hier ohnehin eher gering. 1995 wurden rund 52 Milliarden Mark für die Sozialhilfe ausgegeben, davon etwa 19 Milliarden Mark für die Hilfe zum Lebensunterhalt, 17,3 Milliarden für die Hilfe zur Pflege und 13 Milliarden für die Eingliederung von Behinderten. Selbst wenn man beispielsweise bei den Haushaltsregelsätzen etwa um fünf Prozent kürzen würde, kämen dabei nur einige hundert Millionen Mark Einsparung heraus. „Das ist von den Einsparmöglichkeiten her nicht interessant“, erklärte dazu Andreas Brandhorst, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundestagsfraktion der Grünen.
Siehe Seite 6 roga/BD
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