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Urlaube vom Ich

■ Schreiben statt leben: Eine Ausstellung über Friedrich Glauser, den Schweizer Romancier und großen Drogenesser, im Literaturhaus

Friedrich Glauser wollte sein Leben nicht. Der Wunsch, „sich wegzumachen“, wie er einmal schrieb, war fast immer da. Nur nicht im Rausch und manchmal nicht im Schreiben.

Das Porträt, das überlebensgroß im Ausstellungsraum des Literaturhauses in der Fasanenstraße hängt, ist von einer so unsagbaren Traurigkeit, daß man beim Schauen durch die Vitrinen, in denen das Leben des Schweizer Schriftstellers Friedrich Glauser dokumentiert wird, selbst verdammt melancholisch wird. Warum tut man sich das auch an? Warum wühlt man in der Biographie eines Schriftstellers, dessen Romane man gerne liest? Schwer zu sagen.

Ich glaube, man will einfach immer wieder wissen, warum jemand schreibt, ein ganzes Leben lang schreibt, wie Glauser, statt zu leben, einfach so.

Manche schreiben, um sich zu erinnern, andere, um sich zu vergessen. Glauser schrieb, um sich zu verlieren in seinen Büchern und den Gestalten, die er schuf, wie dem Wachtmeister Studer, dem Held seiner letzten Romane, den Kriminalromanen, die ihn so plötzlich fast berühmt gemacht hatten. Die Wirkung, die er dem Schreiben beimißt, ist der ganz ähnlich, die er im Drogenrausch findet: Von-sich-absehen, Sehnsucht nach Fort-von-sich. In seiner Fremdenlegionserzählung „Mord“ schreibt er über das Glück des Kiffens: „Alles ist in diesem Rauch, alles, was wir brauchen ... Nun möchte ich auf Pferden reiten, ohne zu denken, bis ich müde bin, und dann alles vergessen im Schlaf.“

Alles, was an Drogen zu Glausers Lebzeiten (1896 bis 1938) bekannt war, hat er regelmäßig ausprobiert und konsumiert. Schon in der Schule hatte er mit Äther und Chloroform experimentiert, mit 20 Jahren war er morphiumabhängig. Unzählige Entziehungskuren läßt er über sich ergehen, beschreibt auch die Qualen des Entzugs in seinen Büchern immer wieder („man merkt plötzlich, daß man eine Galle besitzt; man merkt Verschiedenes und weiß schließlich mit seinem Körper ziemlich Bescheid“). Er wird immer wieder auch in Irrenanstalten, wie das damals noch hieß, eingeliefert, wo man Schizophrenie diagnostizierte. Sein eigener Vater ließ ihn wegen Geldverschwendung und Drogensucht entmündigen, kurz nachdem er volljährig geworden war.

Glauser sitzt immer wieder wegen Rezeptfälschungen und Diebstählen im Gefängnis, wo es ihn, genauso wie ins Schreiben, wie in den Rausch, fast schon hingezogen zu haben scheint: „Ich war in des Wortes richtigster Bedeutung ein ,Leidsucher‘. Zufrieden war ich eigentlich immer erst, wenn ich im Gefängnis oder im Irrenhaus war“, schreibt er in der autobiographischen Erzählung „Morphium“.

Eine Art von Glück fand Glauser, als er sich in die Psychiatrieschwester Berthe Bendel verliebt, die für ihn ihre Stellung kündigt und mit Glauser auf einen kleinen Hof nach Frankreich zieht. Sie wollen heiraten, was für den entmündigten und mehrfach vorbestraften Glauser unendliche behördliche Schwierigkeiten bedeutete (in der Ausstellung ist den Hochzeitsvorbereitungsbescheinigungen eine ganze Vitrine gewidmet). Als endlich alle Papiere zusammen sind und ein Termin gefunden ist, stirbt Friedrich Glauser am Abend vor der Hochzeit im Alter von 42 Jahren.

Zur Ausstellung ist zwar kein Katalog erschienen, dafür hat aber der Limmat Verlag, der sich um Glauser schon mit einer beeindruckenden Werkausgabe verdient gemacht hat, einen sehr schönen Erinnerungsband herausgegeben, in dem viele Zeugnisse von Zeitgenossen Glausers abgedruckt sind und auch einige bislang unbekannte Fotografien. Hier findet sich auch der schöne Satz von Emmy Ball-Hennings, die Glauser eines Abends an der Kasse einer der Genfer Dada-Soireen kennenlernte (an denen er später auch mit eigenen Texten teilnehmen sollte), als dieser sich gratis hineinschmuggeln wollte: „Es lag ihm mehr daran, zu leben als zu schreiben“, schreibt sie.

Das Lustige an diesem Satz ist, daß er für Schriftsteller nichts so Ungewöhnliches charakterisiert, daß er aber, auf den Glauser, den wir in der Ausstellung kennengelernt haben, genau umgekehrt lauten müßte. Ihm nämlich scheint am Schreiben sehr viel mehr gelegen zu haben als am Leben. Volker Weidermann

Literaturhaus Fasanenstraße 23. Noch bis 27.April, täglich außer montags 11 bis 19 Uhr

Friedrich Glauser: „Erinnerungen“. Limmat Verlag, Zürich 1996. 160 Seiten, 32 DM

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