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Erst der Tod, dann das Geld

■ Lehrern zahlt der Staat besonders gern nichts. Eine Lehrerin starb gar, weil sie keine Arznei kaufen konnte

„Der russische Staat hat die Lehrerin Pawlowa ermordet“ – so lautete die Überschrift des Leitartikels, in dem die Iswestija Ende Januar vom Martyrium einer 34jährigen Pädagogin und Mutter zweier Kinder in der sibirischen Stadt Sosnowoborsk berichtete. Sieben Monate lang hatte Valentina Pawlowa kein Gehalt mehr bekommen, sondern nur lächerliche Abschlagszahlungen. Als sie zu kränkeln begann, konnte sie sich nicht die Medikamente kaufen, die man ihr in der Poliklinik verschrieb. Die dafür benötigten 300.000 Rubel (rund 88 Mark) erschienen ihr als phantastische Summe. Als sie schließlich ins kümmerlich ausgerüstete örtliche Krankenhaus gebracht wurde, war es zu spät. Einen Tag nach ihrem Tod wurden ihr dann 4,5 Millionen Rubel zugestellt. Das reichte gerade zur Beerdigung. „Offenbar müssen wir erst sterben, um zu bekommen, was wir erarbeitet haben“, sagte eine Chemielehrerin ihrer Schule.

Die Schuld des russischen Staates gegenüber jenen, die sich um seine Kinder kümmern, betrug im Februar sieben Billionen Rubel. Nach den Offizieren sind die LehrerInnen die am seltensten bezahlte Berufsgruppe Rußlands. Nicht zufällig. Das kleptokratische Gesellschaftssystem läßt nur noch Leistungen gelten, deren Früchte sofort gegen klingende Münze verscherbelt werden können. Die Bildung reift da zu langsam heran.

Wenn heute die Moskauer LehrerInnen auf den Roten Platz ziehen, tun sie es allerdings hauptsächlich aus Solidarität mit ihren KollegInnen in der Provinz. Die PädagogInnen in den Großstädten werden in der Regel bezahlt. Als die taz kürzlich die von Boris Jelzins Vater als Bauleiter errichtete Schule in Butka, dem Geburtsdorf des Präsidenten im Ural, besuchte, war der Geldbote dort schon drei Monate nicht mehr hingekommen. Die LehrerInnen, die im Schulgebäude ein kleines Jelzin-Museum hüten, wittern hinter der unterschiedlichen Bezahlung in Stadt und Land System: „Das tun sie extra, um unsere Kräfte zu zersplittern und uns zu vereinzeln.“ Der Lehrkörper in Butka ernährt sich von Hühner- und Kaninchenzucht. Der Schuldirektor hat es sogar bis zu einer Kuh und einem Schwein gebracht. Auf die Frage, ob sie schon einmal an Streik gedacht habe, antwortete die Beschließerin des Jelzin-Museums: „Daran hindert mich mein Gewissen.“

Gewissen hin, Gewissen her – von rund zehntausend Streiks, zu denen sich in Rußland im vorigen Jahr der Protest gegen die Verzögerung von Lohn- und Gehaltszahlungen auswuchs, wurden siebentausend von Angestellten im Bildungswesen angezettelt. Die Dauer der Streiks hat vielerorts die kritische Grenze erreicht, in der das Schuljahrespensum schon nicht mehr nachgeholt werden kann. Die Schüler sind damit ohne eigenes Zutun zu Sitzenbleibern geworden.

Aber auch die ausbleibenden Lohnzahlungen für Nichtlehrer vermögen den Prozeß der Volksbildung zu bremsen. Im Städtchen Salair bei Kemerowo besetzten dreitausend Metallarbeiter die Hauptverwaltung ihrer Fabrik, weil sie fast ein Jahr lang keine Löhne mehr zu Gesicht bekommen hatten. Als eine Lehrerin in der dortigen Schule das Aufsatzthema „Mein Traum“ stellte, schrieb über die Hälfte der Kinder einfach: „Wurst und Bonbons.“

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