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Dreirad statt Doppeldecker

Im April werden Velotaxis den Linienbetrieb in der Berliner City aufnehmen: Die Tretmobile sollen den öffentlichen Nahverkehr ergänzen  ■ Von Kirsten Niemann

„Es macht Spaß, ist preiswert und umweltfreundlich!“ – so charakterisiert Ludger Matuszewski die neuen Vehikel seines im Frühjahr 1996 gegründeten Verkehrsbetriebes. Seit bereits anderthalb Jahren widmet sich der Geschäftsführer der Velotaxi GmbH der Realisierung eines neuen Verkehrskonzepts, das sowohl „wirtschaftlich machbar als auch den normalen Autoverkehr entlasten und vor allem auch effizient“ sein soll. Ab dem 12. April wird sein neues Gefährt nun unser Stadtbild prägen: das muskelbetriebene Fahrradtaxi mit geschlossener Beifahrerkabine, die Platz für zwei Passagiere bietet. Denn eigentlich biete Berlin auch Fahrrädern genügend Raum, meint Jungunternehmer Matuszewski. „Man muß nur etwas aus der gegenwärtigen Situation machen.“

Auf zunächst drei festen Linien werden jeweils zehn Velotaxichauffeure unterwegs sein, die ihre Strecken nach dem Shuttle-Prinzip abfahren. Dabei werden Gebiete abgedeckt, in denen sich zwar viel Laufkundschaft bewegt, die vom Bus- und U-Bahnnetz jedoch weniger berücksichtigt werden. Als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr soll die Linie1 über das Gebiet in den Seitenstraßen rings um den Kurfürstendamm vom Adenauerplatz bis zum Breitscheidplatz abdecken. Die Linie2 startet am Elefantentor des Zoologischen Gartens, verläuft am Bahnhof Zoo entlang und dann quer durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor. Die dritte Linie fährt die Straße Unter den Linden entlang, vom Brandenburger Tor über die Friedrichstraße bis zum Alexanderplatz. An jeder beliebigen Stelle innerhalb dieser festgelegten Strecken können sich Passanten einen Fahrer heranwinken. Dieser kann ihn auch schon mal an einen Zielort bringen, der bis zu ein paar hundert Meter von den Linienstrecken abweicht. Eine Einzelfahrt kostet fünf Mark, die Kurzstrecke nur zwei Mark. Für Touristen, die erfahrungsgemäß ungewöhnlichen Verkehrsmitteln gegenüber aufgeschlossener sind als der Normalberliner, hat die Velotaxi GmbH ein besonderes Bonbon in petto: Mit einem Touristenticket für 15 Mark können sich Berlinbesucher eine halbe Stunde lang durch die City kutschieren lassen. „In erster Linie richtet sich unser Verkehrskonzept allerdings an die einheimische Bevölkerung“, so Matuszewski. Schließlich gäbe es viele Leute, die „immer gleich ins Auto steigen, sobald ein Ziel weiter als 300 Meter entfernt ist. Und das kann doch nicht sein.“

Der zündende Gedanke kam dem gebürtigen Düsseldorfer bei einem mehrmonatigen Aufenthalt in Lateinamerika. „Collectivos“ heißen die motorisierten Sammeltaxen, die die Straßen von Caracas durchkreuzen. Fahrpläne und Haltestellen gibt es dort jedoch nicht. Die Fahrgäste werden einfach unterwegs irgendwo aufgelesen und selbst zu den entlegensten Wunschzielen chauffiert.

Auf den ersten Blick ähnelt das Velotaxi zwar einer asiatischen Rikscha, doch bei näherer Betrachtung hat es damit genausowenig gemein wie ein Klapprad mit einem Mountainbike.

Während eine Rikscha gut 120 Kilo auf die Waage bringt, kommt das Velotaxi gerade mal auf 70 Kilo. Auch das Fehlen jeglicher Technik macht das Strampeln auf dem asiatischen Vorbild zu einem todsicheren Faktor für Muskelkater. Die neukonstruierten Gefährte verfügen dagegen über eine ausgefeilte Technik mit Fünfgangschaltung, Differentialgetriebe, Motorradfelgen mit extrastarken Speichen und neu entwickeltem Bremssystem.

Velotaxis dürfen die Busspur benutzen

„Alles Dinge, die in den vergangenen zwei Jahren entwickelt wurden“, erläutert der 34jährige Informatiker, der bis 1995 noch als Produktmanager bei Daimler beschäftigt war. 1997 betrachtet der ambitionierte Jungunternehmer als Pilotjahr, in dem er in Zusammenarbeit mit dem technischen Leiter Jens Grabner noch an mindestens einem weiteren Prototyp arbeiten wird.

Die Ziele sind hoch gesteckt: „Bis zum Winter haben wir es vielleicht schon zu einem Fahrzeug gebracht, in das sich Solarenergie integrieren läßt“, sagt Matuszewski. Alle Fahrzeuge sind patentiert und werden gemäß der Straßenverkehrsordnung zur Personenbeförderung zugelassen, wenn ein Gutachten der Dekra vorliegt. Dann erhält Velotaxi eine einjährige Ausnahmegenehmigung, die auch die Busspurnutzung einschließt.

Um die Fahrpreise niedrig halten zu können, hat sich die Velotaxi GmbH Werbepartner gesucht, die einen Teil der Kosten für den Linienbetrieb übernehmen. Ganze Linien werden von einzelnen Firmen beworben. „Wenn sich die Zusammenarbeit mit den internationalen Konzernen bewährt und ausbauen läßt, starten wir zwei weitere Linien: eine im Prenzlauer Berg und eine auf der Oranienburger Straße.“

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