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Frühling ist beschlossene Sache

■ Zarte Lindenknospen, eine Bootsfahrt und Eiersuchen im Park: Berlin ist zwar nicht Italien, aber der Frühling ist so gut wie da. Außerdem: Wortspielspaß zum Osterfest

Berlin-Alexanderplatz. Noch hat die Frühlingssonne wenig Kraft. In den Betonblumenkübeln frösteln Stiefmütterchen. Trotzdem: Heute ist der erste Tag, an dem es draußen wärmer ist als in den U-Bahn-Stationen, und die Forsythien stehen in sattem Gelb. Ein schmächtiger Mann hängt an einer gigantischen Traube gasgefüllter Luftballons in Herzform – Aufschrift: „I love you“.

Spaziergang unter den Linden. Die Alleebäume tragen zarte Knospen. Einer der sonst so grimmig dreinblickenden Polizisten vor der Neuen Wache plaudert angeregt mit einem Passanten. Vor der Humboldt-Uni erblüht der Freiluft-Buchhandel, und am Zeughaus ist wieder Kunst- und Trödelmarkt. Hier eröffnen auch die Hütchenspieler die Saison. Auf dem Spreekanal wartet das Berliner Wassertaxi auf Stadtrundfahrtkundschaft. Eine junge Frau klettert mit einer Flasche Glasreiniger und einem Lappen auf dem Plexiglasdach des original Amsterdamer Grachtenbootes herum: Frühjahrsputz. Wer wollte heute nicht an Bord gehen?!

Sanft schaukelt die „Wilhelmine“ am Kai. Leinen los und volle Kraft voraus! Plötzlich ist die Sonne verschwunden. Die junge Stadtführerin plaziert einen ersten Scherz: „Und hier die Schloßbrücke von unten. Frisch Verliebten können wir anbieten, die Fahrt hier zu beenden.“ So weit sind die Frühlingsgefühle noch nicht gediehen – alle wollen bloß Boot fahren. „Nun begrüße ich Sie wieder unter der Berliner Sonne.“ Unter Plexiglas wärmt sie sogar. Weiter geht's zur Mühlendammschleuse. Von hier aus könnte man in zweieinhalb Stunden zum Müggelsee schippern, doch der Binnenseebär am großen Steuerrad dreht bei. Wer die Wasserstraßen des Berliner Umlandes erkunden will, muß umsteigen auf den Raddampfer „Havel-Queen“ oder auf eines von 29 weiteren Ausflugsschiffen der Berliner Stern und Kreisschifffahrt. Pünktlich zu Ostern sind sie ausgelaufen. „Sehfahrer können Berlin wieder auf Seen und Wasserstraßen erkunden“, überschrieb unlängst ein frühlingshaft wortverspielter ADN-Schreiber seine Agenturmeldung zum Thema. Traditionell reizt auch das Osterfest zum Wortwitz. Radiostationen spielen ausschließlich Hits, um ihre Sendungen „Das Gelbe vom Ei“ nennen zu können. Leider hat es das Berliner Schwulenmagazin Siegessäule versäumt, den Beginn der Cruising-Saison im Tiergarten und im Friedrichshain angemessen zu würdigen. „Eiersuchen im Park“ – das wäre ein Titel gewesen.

Die Museumsinsel ist umrundet, und der Kapitän nimmt Kurs auf den Spreebogen. In der Ferne glänzt die goldene Kuppel der Neuen Synagoge in der Sonne. Den Uferweg zur Rechten zieren Stahlgitter. Sogenannte Knöterichwachstumsbeschleuniger, erklärt die Stadtführerin. Doch der Knöterich läßt sich noch bitten.

Was die nette junge Dame alles weiß! Auf der Weidendammbrücke hat sich einmal Theodor Fontane verlobt. In dem Haus dort links wird das Kleingeld mit einem A darauf geprägt. Der Volksmund nennt den Reichstag seit Christos Verhüllung auch Kohlroulade.

Im Spreebogen wird gebaut. Raumgreifend balzen zwei mächtige Güterschiffe. Der Käpt'n der „Wilhelmine“ beschließt den geordneten Rückzug. Schon taucht die Anlegestelle auf.

Ein Cappuccino vor der Eisdiele, die eilig das Gartenmobiliar aus dem Keller geholt hat. Eigentlich ist es noch viel zu kalt zum Draußensitzen, doch einige Verwegene haben sich sogar vor großen bunten Eisbechern in ihre Jacken gekuschelt. Der Frühling ist beschlossene Sache. So ist sie halt, diese sympathische Jahreszeit zwischen Schneeregen und Sommersmog. Der Cappuccino kommt mit Sprühsahne statt mit Milchschaum. Macht nichts – Berlin ist nicht Italien. Was macht ein wenig Sonne doch genügsam! Hat nicht heute morgen ein BVG-Kontrolleur eine junge Frau laufenlassen, die ihre Fahrkarte nicht gestempelt hatte? Aber ja doch, der Frühling hat begonnen. Holger Wicht

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