: Hunde, Fichten, Einsamkeit
Am Fluß Vindelälven im schwedischen Teil Lapplands finden Naturfreunde Ruhe und die Schönheit der Taiga. Meterhoher Schnee ist bis Mai nur mit Skiern oder auf Kufen zu bezwingen ■ Von Christine Berger
Eigentlich sollte das Naturerlebnis gleich am Flughafen von Lycksele beginnen. Auf sanften Hundepfoten, gewärmt mit Rentierfellen, wollten Donald und Maja uns durch die Landschaft kutschieren. Ein Rentierherde in der Nähe machte den beiden Reiseveranstaltern jedoch einen Strich durch die Rechnung. „Zu gefährlich, die Hunde könnten ausreißen“, meint Maja und zuckt mit den Achseln. Daß etwas nicht klappt wie geplant, ist im hohen Norden nichts Ungewöhnliches. Also bleiben die Hunde im Anhänger verstaut, die Schlitten auf dem Autodach, und wir Neulinge aus Deutschland verfrachten uns mitsamt dem Gepäck ins Innere des Achtsitzers.
Eine halbe Stunde Autofahrt vorbei an unzähligen Rentieren, Fichten und zwei Wagen Gegenverkehr. Schließlich ist der Abstand zum Wild groß genug, die Hunde können ihren Einsatz kaum erwarten. Mit ohrenbetäubendem Gekläffe und wilden Tänzen auf vier Pfoten warten sie darauf, vor den Schlitten gespannt zu werden. Sind sie erst mal in Fahrt, geben die dickfelligen Bellos keinen Mucks mehr von sich, und zum erstenmal machen wir Bekanntschaft mit der Stille der winterlichen Taiga.
Warm gepolstert ziehen uns die Hunde durch den meterhohen Schnee und furzen dabei, was das Zeug hält. Donald, der hinten auf den Kufen steht und den Schlitten lenkt, braucht nicht mehr als zwei, drei Worte, um dem Leittier die Richtung zu weisen. Ecco zieht so stark er kann, ganz im Gegensatz zu einigen schlauen Artgenossen, die gerade immer so laufen, daß ihre Trense nicht gespannt ist. Wir Passagiere im Schlitten stellen ernüchtert fest, daß im Hundeleben die Arbeitsaufteilung eben auch nicht besser funktioniert als bei uns Menschen.
Und dann liegt er vor uns, der Fluß, und niemand hat es bemerkt. Sonst ein lebhafter Strom, liegt der Vindelälven jetzt unter einer dicken Eisdecke begraben. Schon in sechs Wochen, wenn die Schneeschmelze einsetzt, ähnelt er einem wilden Tier, das an 44 Stromschnellen seine Zähne zeigt. Für Freunde des River Rafting ist der 570 Kilometer lange Fluß im Sommer ein Eldorado. Jetzt im Varvniter, dem sogenannten Frühjahrswinter, wird er als Straße benutzt, auf der die Einheimischen kufenweise und manchmal mit dem Auto fahren.
Minus zehn Grad, und niemandem ist kalt im Zelt. Ein paar Jungs aus dem nächsten Dorf haben für uns mitten im Wald eine Mahlzeit gekocht. Wir probieren eine Art Speckklöße mit Preiselbeermarmelade, ein typisches Gericht der Gegend, die im langen Winter von November bis Mai nicht viel Frisches zu bieten hat. In der Mitte des Lappenzelts flackert ein lebhaftes Feuer, Donald taut als erster auf und beginnt von seinem Leben als dreifacher Familienvater und Hundeschlittenvermieter zu erzählen. Ganz in der Nähe steht sein Haus, das er und seine Frau von seinen Schwiegereltern geerbt haben. In dem kleinen Ort Eccosele wohnen außer ihm noch ein Dutzend Nachbarn. Die meisten von ihnen sind alte Leute. Donald wäre es lieber, ein paar Jüngere würden herziehen, aber solange die Alten nicht gestorben sind, gibt es keine Häuser, und Bauplätze sind in Eccosele rar.
Vom Schlittenverleih allein kann Donald nicht leben. Der Tourismus ist hier gerade in den sechs Wintermonaten von November bis April kaum zu spüren, und der 30jährige arbeitet deshalb noch am Flughafen von Lycksele, der mit rund 30.000 Einwohnern nächstgrößeren Stadt. Dabei ist die Gegend gerade im Varvniter wunderschön, wenn auch die Temperaturen nicht jedermanns Sache sind. Am Abend geht das Thermometer auf minus 10 Grad. „Zu warm“, findet Lenhard, der uns für die Nacht in seinen selbstgebauten Holzhütten beherbergt. Im März sind minus 20 Grad noch durchaus normal. Wir schlottern dennoch ein wenig, als am nächsten Morgen das Feuer im Ofen verglimmt und der Gang aufs Plumpsklo ansteht. Nur gut, daß wenigstens das Wasser im Zuber neben der Sauna noch warm ist. So wird die Katzenwäsche kein Frostschock.
Zum Frühstück gibt es Polarbrot, flache Scheiben, die aussehen wie Knäckebrot, aber weich sind und nach Anis schmecken. Rune Sundberg hat die flachen Fladen für uns gebacken. Der 65jährige Schwede wohnt rund 20 Kilometer entfernt und ist nicht nur für sein gutes Brot bekannt, sondern vor allem für seine innovativen Backöfen, die er selber baut und auch vermarktet. Sundberg wohnt seit seiner Geburt im Haus, das seine Eltern einst gebaut hatten. Er selber kennt das Leben als Selbstversorger noch aus erster Hand. Von der Kleidung bis zu den Möbeln wurde damals alles selber gemacht, und auch Rune kennt noch viele Techniken, die ihm ein möglichst autarkes Leben ermöglichen. Zwar gibt es bei ihm mittlerweile Strom und fließend Wasser, doch dem Plumpsklo ist er treu geblieben. Als Klopapier dient ihm ein altes Telefonbuch von 1988, weniger um Geld zu sparen, sondern aus mangelnder Freude am Komfort.
So spartanisch wie Sundberg leben längst nicht alle Bewohner in Nordschweden. Gekachelte Bäder, Fernsehen und Einbauküchen sind hier genauso verbreitet wie im restlichen Europa auch. Das naturverbundene Wohnen in der Taiga ist denn auch eher etwas für Touristen, die vom Komfort in der Stadt die Nase voll haben und sich lieber mit Holzhacken aufwärmen als mit dem Drehen am Knauf der Zentralheizung. In der Gegend rund um den Fluß Vindelälven finden sich denn auch etliche Hütten, die nach Tagen an der frischen Luft mit wärmendem Feuer locken. Während draußen die Nordlichter am Himmel flackern und Sternschnuppen gleich reihenweise auftreten, gibt es drinnen Mitgebrachtes aus dem nächsten Dorf: Fleischspieße und Folienkartoffeln, dazu Leichtbier, der einzige bezahlbare Bölkstoff in der nördlichen Hemisphäre.
Im flackernden Schein des Kamins passieren die Erlebnisse mit Hundeschlitten und Motorscootern Revue. Fotobegeisterte Mitreisende schwärmen vom gleißenden Sonnenschein auf der schneebedeckten Natur, den klaren Farben und der erstaunlichen Helligkeit bis in die Abendstunden. Bald schleicht sich die Müdigkeit ein, und nach und nach verschwindet jeder bis zur Nasenspitze in seinem Schlafsack. Draußen bellen die Hunde, die uns morgen weiter durch die Taiga ziehen werden und die jetzt vielleicht gerade einen Wolf oder Elch gewittert haben.
Die Möglichkeiten, sich durch die Wälder Lapplands voranzubewegen, sind vielfältig. Nur zu Fuß sollte man es im Winter nicht versuchen. Kaum aus dem Schlitten heraus, versinkt man bis zu den Oberschenkeln im weißen Naß. Erst im Mai beginnt die Schneedecke allmählich dünner zu werden. Bis dahin sind Skier oder Schlitten sinnvolle Begleiter. Für Ausritte mit ihren Islandpferden hat Pferdewirtin Katherina Hansson extra eine Art Schneeschuhe unter die Hufe geschnallt. Auf diese Weise sinken die Pferde nicht so tief auf den präparierten Pfaden. Daß auch die Rentiere keine Lust haben, sich durch den dicken Schnee zu wühlen, ist übrigens der Grund, weshalb sie am liebsten auf den freigeräumten Autostraßen herumlungern. Dort gibt es für die Tiere nicht nur ein angenehmes Maß an Beinfreiheit, sondern auch leckeres Streusalz, das sie mit Wonne vom Asphalt schlecken.
Sehr oft müssen die Viecher den Aufenthalt auf den Autopisten mit dem Leben bezahlen, weshalb das Volk der Samen, dem die Herden gehören, besonders im Winter herbe Verluste einstecken muß. So haben die Trucks, die mit Holz und anderem Exportgut auf Lapplands Straßen unterwegs sind, extra stabile Schutzbleche, mit denen jedes störende Tier radikal ins Jenseits transportiert wird. Als Ausgleich zahlt der schwedische Staat Lapplands Ureinwohnern eine Entschädigung in Höhe von ungefähr 300 Mark für jedes überfahrene Tier.
Weil die Rentiere noch längst nicht die Folgen von Tschernobyl verwunden haben, mußten auch die Samen ihre Gewohnheiten verändern und die Tiere, die zum Fleischverzehr gehalten werden, künstlich füttern. „Im Winter steigen die Becquerel-Werte immer noch, weil die Tiere jahrzehntealte Flechten fressen. Im Sommer gibt es junges Gras, das noch nicht belastet ist“, erklärt Maja Majchrzak, die Deutsch-Polin, die sich aus Liebe zum Land hier mit Mann und Kind niedergelassen hat und jetzt Tourismusbeauftragte der Region ist.
Daß die Lappländer dennoch keinen Bogen um Rentierfleisch machen, wird an unserem Speiseplan deutlich. Kein Tag ohne, und merkwürdigerweise schmeckt es uns. Vielleicht ist es auch einfach die Kälte, die unseren Kalorienbedarf in die Höhe treibt. Während die Einheimischen bei minus sieben Grad in Hemd und Hose draußen herumlaufen, schlottern wir im Skianzug. Als wir einmal in einem offenen Stall zu Mittag essen, gefriert das Bier im Glas. Da reicht es einigen, und der Ruf nach einem warmen Zimmer mit Dusche wird laut. Postwendend verbringen wir die Nacht in einem kleinen Hotel in Vindeln, wo wir unseren Muskelkater vom Schlittenlenken, Skifahren und Reiten auskurieren.
Hier begegnet uns neben Dusche und Daunenbett auch wieder die Zivilisation in Form von Geschäften und Snackbars. Abends schlendern wir um die schmucklosen Mietsblöcke des 2.000-Seelen- Ortes und bekommen eine Ahnung davon, wie es wieder sein wird, wenn wir dahin zurückkehren, wo wir hergekommen sind. Morgen geht es noch einmal hinaus zum Vindelälven und in den Wald. Die Hundeblähungen werden uns lieblich um die Nase wehen und daran erinnern, daß Autoabgase zehnmal schlimmer sind.
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