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Kommunen dürfen weiter an Spielsucht verdienen

■ Verfassungsbeschwerde der Automatenindustrie ist in Karlsruhe gescheitert. Aufkommen der Vergnügungssteuer hat sich seit 1980 mehr als verzehnfacht

Freiburg (taz) – Die Gemeinden dürfen bei der Besteuerung von Geldspielautomaten auch weiter kräftig zulangen. Dies entschied das Karlsruher Bundesverfassungsgericht in einer am Donnerstag bekanntgemachten Entscheidung. Drei Verfassungsbeschwerden von Spielhallenbetreibern nahm es dabei mangels Aussicht auf Erfolg gar nicht erst zur Verhandlung an.

Nach Ansicht des Gesetzgebers ist das Spielen mit Geldspielautomaten ein Vergnügen und kann daher (ebenso wie das Flippern und Kickern) mit Vergnügungssteuer belegt werden. Das Aufkommen aus dieser Steuer hat sich in den letzten Jahren allerdings mehr als verzehnfacht. In den alten Bundesländern wurden 1980 erst 40 Millionen Mark eingenommen, 1992 waren es schon 530 Millionen Mark. Trotzdem machen die Geldspielautomaten rund 70 Prozent des Umsatzes der Automatenbranche aus, viel mehr als Flipper, Telespiel und Jukebox. Ohne die massive Erhöhung der Vergnügungssteuer und verschärfte Anforderungen an die Aufstellung der Geldspielautomaten läge der Umsatz heute aber um ein Drittel höher, schätzt das ifo-Institut. Die hohe Vergnügungssteuer wird von den Gemeinden vor allem mit der Bekämpfung der Spielsucht gerechtfertigt.

Was mit welchem Steuersatz der Vergnügungssteuer unterworfen ist, regelt in etwa der Hälfte der Bundesländer ein Landesgesetz. In den übrigen Ländern dürfen die Kommunen per Satzung Höhe und Modalitäten dieser Steuer bestimmen. Die Belastung kann deshalb von Gemeinde zu Gemeinde stark variieren. Die Kläger wandten sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die Regelungen in Göppingen (Baden-Württemberg) und Eutin (Schleswig-Holstein). In Göppingen verlangte das Rathaus zuletzt monatlich 360 Mark Steuern pro Gerät, in Eutin 200 Mark.

Den Kommunen wird oft vorgeworfen, in Wirklichkeit ginge es ihnen gar nicht um den Schutz vor Spielsucht, sondern eher um ihr Stadtsäckel. Die Kläger argumentierten jedoch vorm Verfassungsgericht ganz anders. Sie nahmen die moralischen Postulate ihrer Stadtväter ernst und unterstellten, daß mit den Steuererhöhungen wirklich vor allem sozialpolitische Ziele verfolgt werden. Dies aber, so ergänzten die Automatenaufsteller listig, sei ein „Formenmißbrauch“. Denn für derartige Wirtschaftslenkung sei der Bund zuständig und nicht die Länder oder Kommunen.

Dem folgten die drei urteilenden Verfassungsrichter nicht. Die Vergnügungssteuer könne neben der Erzielung von Einnahmen durchaus auch gesundheitspolitische Zwecke verfolgen. Dies sei schließlich bei Tabak und Alkohol nicht anders.

Beklagt hatten die Spielhallenbetreiber außerdem, daß ihre Geldautomaten in Göppingen dreimal so hoch besteuert wurden, wie diejenigen, die in den örtlichen Gaststätten hängen. Diese Differenzierung fanden die Verfassungsrichter okay: „Die Spielhallen werden regelmäßig allein um des Spieles willen aufgesucht, während bei einem Gaststättenbesuch typischerweise das Automatenspiel nur gelegentlich angenommen wird“, heißt es in dem Beschluß.

Offen blieb allerdings die Frage, ob auch die mancherorts extrem hohen Steuersätze auf Spielgeräte mit gewaltverherrlichendem Inhalt zulässig sind. Im sächsischen Ort Lommatzsch etwa werden pro Monat und Gerät bis zu 2.500 Mark Vergnügungssteuer verlangt. Die Automatenbranche sah in derartigen Regelungen eine unzulässige „Erdrosselungssteuer“, da der Betrieb der häufig als „Killerautomaten“ apostrophierten Videospiele dann wohl kaum noch rentabel ist. Zu diesem Problem äußerte sich Karlsruhe ausdrücklich nicht, da die verhandelten Fälle nicht zusammenpaßten. Christian Rath

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