: Ohne Spielgeld zum Spendenparlament
■ Hamburgs Bezirke haben keine Sondermittel für Vereine und Initiativen mehr übrig
Die Zeiten, in denen der Bezirk Wandsbek mit seinen „Sondermitteln“kleine, engagierte Vereine bezuschussen konnte, sind vorbei. „Ich suche 1000 Mark für ein wichtiges Projekt und habe sie nicht“: Wolfgang Papke, Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bezirk, ist gefrustet, denn er kann den ehemaligen Häftlingen des Neuengammer KZ-Außenlagers Sasel keinen Pfennig zu ihrem Treffen dazugeben.
Der Grund dafür, daß der Wandsbeker Sondermitteltopf für „örtliche Aufgaben“schon leer ist, lautet ausnahmsweise nicht Sparzwang: Eigentlich hätten dem Bezirk auch für dieses Jahr 360.000 Mark „Spielgeld“(wie es die Beamten der Haushaltsabteilungen gerne nennen) zur Verfügung gestanden.
Die Bezirksversammlung hat ihre 97er Sondermittel für Spielplatzgerät oder den neuen Fußball im Jugendtreff jedoch schon im vergangenen Jahr verpraßt – ebenso, wie sie 1995 ihr 96er Geld ausgegeben hat. Bislang war es auch in anderen Bezirken durchaus üblich, im laufenden Jahr auch die Sondermittel des kommenden Jahres auszugeben.
Diese sind für das 1998 allerdings bereits so gut wie abgeschafft: Ende April soll die Bezirksverwaltungsreform in der Bürgerschaft abgestimmt werden. Die Reform sieht zwar für die Bezirksversammlungen insgesamt mehr Entscheidungsfreiheit in Finanzdingen, jedoch keine Sondermittel mehr vor, und deshalb sind die Wandsbeker Taschen leer. SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Karin Timmermann sieht die „mißliche, unschöne Situation“durchaus ein, tröstet sich jedoch: „Voriges Jahr haben wir vielen geholfen; da waren sie alle ganz glücklich und froh.“
Ähnlich ergeht es gerade einigen Ortsausschüssen im Bezirk Mitte: Die Billstedter Seniorenfreizeit bekommt ihre Busfahrt (400 Mark) nicht bezahlt; in Rothenburgsort und auf der Veddel fallen in diesem Jahr die lokalen Volksfeste (je 5000 Mark) aus. In Rothenburgsort kann ein Stadtteilwegweiser, den örtliche Initiativen planen, mit keiner Mark bezuschußt werden. Nicht nur dort, auch in Wandsbek, dem Bezirk, in dem Umweltsenator Fritz Vahrenholt sowie Bürgermeister Henning Voscherau auf den lokalen SPD-Mitgliederlisten stehen, könnte das Malheur durchaus ein paar Wählerstimmen kosten.
Denn „Sondermittel sind das Schmieröl der Bezirkspolitik – sehr nützlich und notwendig“, sagt Rathaus-GALier und Haushalts-Spezi Martin Schmidt. Durch die Verteilung des Bezirksmannas, das weiß auch die Wandsbeker GALierin Susanne Siems, „entsteht eine Beziehung zwischen BürgerInnen und Abgeordneten“.
In anderen Bezirken rühmt man sich nun der weisen Voraussicht: „Vorgriffe haben wir nie gemacht. Bei uns gilt das Deckungsprinzip“, berichtet Bernd Oltmann von der SPD Bergedorf. Auch in Altona wurde der Bezirks-Reform-Braten gerochen und vorsichtig gehaushaltet. Der Wandsbeker Genosse Papke gesteht: „Es zeichnet sich seit zwei Jahren ab, daß irgendwann einmal ganz einschneidende Dinge passieren. Man hätte das merken können.“
Derlei Selbstkritik nützt zum Beispiel der Kirchenküche in der Wandsbeker Christuskirche nichts mehr. 11.000 Essen pro Jahr, bis zu 240 Portionen am Tag, werden hier für Bedürftige in Hitze und Feuchtigkeit gekocht. Doch nach den 10.000 Mark für eine Profi-Abzugshaube muß sich Leiter Holger Wittenberg trotz „guter Verbindungen zu allen Parteien“woanders umschauen: „Jetzt bleibt mir nur der Weg zum Spendenparlament.“
Nach der Bezirksverwaltungsreform werden sich in allen Bezirken die Initiativen um andere Quellen kümmern müssen – es sei denn, auch die SPD-Bürgerschaftsfraktion erinnert sich daran, wie praktisch so ein Topf mit Kleingeld für gute Taten schon immer war. „Das waren die wichtigsten Mittel, die wir hatten“, poltert auch Nils Boltze (SPD), Vorsitzender des Kerngebietsausschusses Mitte. Ihre Streichung sei „völlig falsch“, und davor habe er Senatoren und Bürgerschaftsfraktion bereits gewarnt.
Denn der Entwurf, der der Bürgerschaft zur Abstimmung vorliegt, ignoriert das, so der GALier Schmidt, „spezifische Fluidum“der Sondermittelvergabe. Die „bisweilen ganz seltsamen Dinge“, die Schmidt unter den Anträgen für Sondermittel gefunden hat, könnten den neuen schematischen Haushaltstiteln nicht mehr zugeordnet werden. Ingo Böttcher
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