: Blutiger Sonntag in Phnom Penh
■ Granaten auf Oppositionsdemonstration: 16 Tote und mehr als hundert Verletzte
Phnom Penh (taz) – Die Sonne brennt auf die bleichen Gesichter der Toten. Schließlich erbarmt sich jemand, sammelt einige Papptransparente vom Boden und bedeckt die Leichen. „Wir fordern unabhängige Gerichte“ steht dort, und „Wir akzeptieren die gegenwärtige Justiz nicht“. Doch eine Brise schiebt die leichten Schilder wieder beiseite. Die Toten bleiben liegen, neben einem zersplitterten Obststand, verlassenen Einkaufstaschen, Plastikschlappen, Taschen und Mützen. Nach einer Weile bahnt sich ein blutverschmierter Lieferwagen den Weg zu dem abgesperrten Gelände, vorbei an Polizisten und Soldaten mit Maschinenpistolen, Walkie- talkies und Sonnenbrillen. Zwei Männer zerren die Toten auf den Wagen und fahren davon.
Leibwächter warfen sich schützend auf den Redner
Was am Sonntag früh um acht Uhr als friedliche Demonstration vor dem Parlamentsgebäude von Phnom Penh begann, endete zwanzig Minuten später in einer Tragödie: Drei Granaten fielen in kurzem Abstand in die Menge von etwa 150 Menschen. 16 Menschen starben, über hundert wurden schwer verletzt. Der Hauptredner der Kundgebung, Sam Rainsy, überlebte nur, weil sich seine Leibwächter über ihn warfen und schnell wegzogen. Einer seiner Beschützer starb.
Rainsy, bis 1995 Finanzminister und heute Kambodschas bekanntester Oppositioneller, hatte gerade seine Ansprache verlesen. Er kritisierte die Regierung und ihre Juristen, beklagte, daß die Mächtigen und Reichen über dem Gesetz stünden, alle anderen ohne Hoffnung auf Gerechtigkeit blieben – dann explodierten die Granaten.
Politische Morde und brutale Einschüchterung gehören zum Alltag in Kambodscha. Bislang wurde noch nie ein Mörder von Regierungskritikern vor Gericht gestellt. Das Massaker vom Sonntag aber ist die schlimmste politische Gewalttat in Kambodscha seit dem Abzug der UN-Truppen vor drei Jahren.
„Sie wollen Menschen töten“, sagt der Parlamentsabgeordnete Ahmad Yahya bitter, „sie wollen das Volk umbringen.“ Wer? Yahya zögert, senkt seine Stimme, bis sie fast unhörbar ist: „Wir können nicht reden, aber wir kennen die Verantwortlichen genau.“
Yahya war am Sonntag morgen mit drei anderen Abgeordneten extra zu Nationalversammlung gefahren, um eine Petition der Kundgebung entgegenzunehmen. Als er gerade das Tor öffnen wollte, explodierten die Granaten. Yahya ist überzeugt, daß es sich um eine gezielte Aktion handelt. Der Abgeordnete vermutet, daß bei dem Anschlag auch ein Komplize der Attentäter getroffen worden ist, denn einer der Verwundeten habe geschrieen: „Diese Idioten! Sie sollten doch warten, bis wir weit genug weg sind.“
Vor dem Parteigebäude von Sam Rainsys Khmer Nation Party steht der blutverschmierte Lieferwagen. Die beiden Toten – der Leibwächter und ein Journalist – liegen noch auf der Ladefläche, jetzt mit einer Parteifahne bedeckt. Die Fahrer des Wagens laufen durch die Parteizentrale, betreuen verletzte Parteimitglieder, trösten eine Mutter, organisieren die Trauerfeiern für den Nachmittag – bestellen die Särge und die Mönche für das Totengebet. Die Politiker hier sprechen laut aus, wer ihrer Meinung nach hinter dem Angriff steckt: der zweite Premierminister Hun Sen und seine Volkspartei CPP.
In Kambodschas Regierungskoalition herrscht ein bitterer Machtkampf. Die beiden Männer, die sich das Amt des Regierungschefs teilen – der erste Premier, Prinz Norodom Ranaride, und der zweite Premier, Hun Sen –, mißtrauen sich bis aufs Blut.
Hun Sen, dessen kommunistische Volkspartei seit Anfang der achtziger Jahre in Phnom Penh regiert, hat die Verwaltung und den wichtigsten Teil von Polizei und Armee unter Kontrolle. Vor den Wahlen 1998 versuchen beide Regierungsparteien – die Funcinpec des Prinzen und die Volkspartei Hun Sens – ihre Gegner auszuschalten. Beide haben ehemalige Rote Khmer in ihr Lager geholt.
Gegner Hun Sens leben derzeit am gefährlichsten. Drei Hun-Sen- kritische Journalisten und mehrere Oppositionspolitiker kamen in den vergangenen Jahren ums Leben. „Der zweite Premier droht nicht nur, er läßt umbringen“, behauptet eine Kambodschanerin.
Mord auf Befehl des zweiten Regierungschefs
Seitdem sich der erste Premierminister kürzlich in einer Wahlkampfallianz mit dem Oppositionspolitiker Sam Rainsy zusammenschloß, geht der zweite Premier noch schärfer als bislang gegen Rainsy vor: Er beschuldigt ihn sogar, hinter Mordanschlägen gegen seine Familie zu stecken.
Nach dem Massaker am Sonntag schwirren in Phnom Penh die Gerüchte: Hun Sen lasse seine eigenen Schutztruppen in Richtung Phnom Penh auffahren. Bei der Audienz im Palast, wo König Monique internationale FilmemacherInnen begrüßt, die gerade zur ersten südostasiatischen Biennale in Phnom Penh weilen, tauchen beide Premierminister nicht auf.
Statt dessen tritt Hun Sen vor die Fernsehkameras und kündigt an, er werde den Schuldigen für die Tragödie vom Morgen verhaften lassen. Dessen Name laute: Sam Rainsy – schließlich habe der die Kundgebung organisiert und sei deshalb für die Toten verantwortlich.
Im Haus von Sam Rainsy versammeln sich JournalistInnen und MitarbeiterInnen von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen. „Prinz Ranarridh hat mir versichert, seine Soldaten würden mich schützen“, sagt der sichtlich erschöpfte Oppositionspolitiker. Wenig später kommt ein Anruf aus einem Ministerium: Rainsy werde um Mitternacht festgenommen. Ein Assistent bringt entsetzt die Abendausgabe der Hun-Sen-nahen Zeitung Ko Santepheap (Insel des Friedens). „Wir müssen den Kopf der Demonstrationen abschlagen“ lautet die Schlagzeile, darunter Fotos von Toten und Verletzten. „Premier Hun Sen will meinen Kopf“, sagt Rainsy.
Um neun Uhr abends kommt plötzlich eine entlastende Nachricht. Ein Fax von Prinz Ranarridh verkündet, Hun Sen habe versprochen, nichts gegen Rainsy zu unternehmen, bevor ein Untersuchungsausschuß eingesetzt worden ist. Also doch keine Verhaftung um Mitternacht. „Aber vielleicht schon morgen“, sagt Rainsy. Jutta Lietsch
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