: Hilfe für NS-Opfer wird bankrott gespart
■ „Stiftung Hilfe für Opfer der NS-Willkürherrschaft“ droht Bankrott, weil Senat Zuschüsse reduziert. Unterstützt werden unter anderen Schwule und Deserteure
Die Sparmaßnahmen des Senats gefährden die Unterstützungsleistungen an Opfer der NS- Herrschaft. Durch die Weigerung des Landes Berlin, das jährliche Defizit der „Stiftung Hilfe für Opfer der NS-Willkürherrschaft“ weiterhin auszugleichen, droht der Stiftung mittelfristig der Bankrott, weil sie ihre Leistungen nicht mehr aus ihren Rücklagen finanzieren kann. 1996 mußte daher die Stiftung zum erstenmal in ihrer zehnjährigen Geschichte 300.000 Mark aus dem Stiftungsvermögen entnehmen. Damit ist der Bestand der Stiftung gefährdet, wie aus dem jetzt vorgelegten Jahresbericht hervorgeht.
Gespart wird dabei ausgerechnet an jenen NS-Opfern, die finanzielle Unterstützung besonders nötig haben, weil sie durch die Maschen der Entschädigungsregelungen fallen: in Armut lebende Zwangssterilisierte, Homosexuelle, politisch Verfolgte, Juden, „Fahnenflüchtige“ und andere.
Die Stiftung wurde vor zehn Jahren von Verfolgtenorganisationen und der Jüdischen Gemeinde in West-Berlin gegründet. Die Satzung sieht einmalige Zahlungen (bis zu 5.000 Mark) oder laufende finanzielle Unterstützung (bis zu 500 Mark monatlich) vor, wenn „der Betroffene wegen der erlittenen Schädigung bisher keine nennenswerten Geldleistungen erhalten hat“ und sein Einkommen sehr gering ist.
Die Ausgaben der Stiftung – 1996 rund 2,4 Millionen Mark – werden durch Zinseinnahmen aus dem Stiftungskapital (15 Millionen Mark) und durch Zuschüsse der Länder Berlin und Brandenburg gedeckt. Doch inzwischen gehen viele Antragsteller leer aus oder müssen sich mit sehr geringen Zuwendungen begnügen, weil der Zuschuß des Senats hinten und vorn nicht reicht.
Der Senat gewährte der Stiftung 1996 und 1997 einen Zuschuß von jeweils 800.000 Mark, darüber hinaus ist nun keine weitere Bezuschussung möglich. Noch 1995 hatte der Senat dagegen den Haushalt der Stiftung nachträglich mit zusätzlichen 157.000 Mark ausgeglichen.
Ein Ende der Ausgleichszahlungen schien wegen der zurückgehenden Zahl von Anträgen der Betroffenen gerechtfertigt. Doch der Zuzug von Flüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion warf diese Berechnungen über den Haufen. Unter den Flüchtlingen sind viele NS-Opfer. Deshalb blieb die Zahl der Antragsteller auf einem unerwartet hohen Niveau von jährlich mehreren hundert.
„Wir kamen nicht umhin, unsere Vergabe von Beihilfen drastisch einzuschränken“, sagt Walter Sylten, Geschäftsführer der Stiftung. „Dauerhafte Zuwendungen gewähren wir kaum noch, und einmalige Beihilfen erfolgen nur noch bis zu 2.000 Mark.“ Trotz identischer Lebensläufe werden die Opfer nun unterschiedlich behandelt. Wer noch vor der großen Finanzkrise die Stiftung um Unterstützung ersucht hatte, konnte noch auf deutlich höhere Zuwendungen hoffen. Und wer aus dem Ausland nicht direkt nach Berlin oder Brandenburg kommt, erhält keine Beihilfe mehr.
Im September 1996 bat die Arbeitsgemeinschaft der Vertretungen politisch, rassisch und religiös Verfolgter bei Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) schriftlich um einen Gesprächstermin zu dem Thema, doch die Finanzsenatorin antwortete nicht. Auf Anfrage der taz erklärte ihre Pressestelle, das Schreiben sei nicht eingetroffen.
Trotz konsequenter Einsparungen mußte die Stiftung schließlich ihr Stiftungskapital angreifen und daraus 300.000 Mark entnehmen. Dafür wurde extra die Satzung geändert. Durch die Entnahme sinken jetzt die Zinseinnahmen. Folglich rechnet der Vorstand für 1997 mit einer noch größeren Entnahme aus dem Stiftungskapital. Und so könnte am Ende des Teufelskreises der Bankrott der Stiftung stehen. „Der Senat hofft jetzt wahrscheinlich, daß wir alle ins Gras beißen, bevor die Stiftung zahlungsunfähig ist“, meint einer der Leistungsempfänger. Thomas Willimowski
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