: „Die Folgen werden tragisch sein“
■ Der Vizevorsitzende der Vereinigten Bürgerpartei Weißrußlands über die Auswirkungen der Union seines Landes mit Rußland
Anatoli Lebedko gehörte dem letzten legitimen weißrussischen Parlament als Abgeordneter an und leitete den Ausschuß für internationale Beziehungen. Mitte Februar wurde er vor seinem Haus von Unbekannten gezielt krankenhausreif geschlagen. Morgen steht er wegen der Teilnahme an einer Demonstration vor Gericht.
taz: Welche Ziele verfolgt der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko mit der Union?
Anatoli Lebedko: Für Lukaschenko ist diese Initiative zur Integration eine Frage des Überlebens als Politiker. Das Feld für seine politischen Manöver ist sehr klein geworden. Ein Dialog mit dem Westen existiert praktisch nicht mehr. In Rußland sind durch die Regierungsumbildung jetzt diejenigen Kräfte gestärkt, die Lukaschenko ohnehin skeptisch gegenüberstehen. Nach dem Vertragsentwurf wird Lukaschenko in spätestens zwei Jahren den Vorsitz des Hohen Rates und damit der Union übernehmen. Den Präsidenten Weißrußlands kann man auf internationalem Parkett vielleicht noch ignorieren. Den legitimen Vertreter einer russisch- weißrussischen Union aber nicht.
Welche Folgen wird der Vertrag für Weißrußland haben?
Den Menschen hier wird vorgegaukelt, daß sich für sie die wirtschaftliche Situation verbessern wird. Nichts davon wird eintreten. Das ist doch nur ein Mythos. Dann wird die Periode der Erwartungen einer Periode der Enttäuschung weichen. Diese negativen Emotionen werden sich gegen Rußland richten, und das wird eine antirussische Stimmung schüren, die es jetzt so nicht gibt.
In der russischen Presse wurde in den letzten Tagen wiederholt die Befürchtung geäußert, daß eine Union mit Weißrußland auch negative Auswirkungen für die demokratische Entwicklung in Rußland haben könnte.
Diese Gefahr besteht durchaus. Denn für Lukaschenko ist die Union doch nur das Einfallstor in den Kreml, mit seinen Methoden natürlich. Und eine Allianz zwischen ihm und den russischen Kommunisten besteht ja schon. Russische Journalisten, die Intelligenz und die Oppositionellen hier wissen nur zu gut, was die neue weißrussische Ordnung bedeutet.
Könnte sich, andersherum, durch die Union die Situation der Opposition in Weißrußland verbessern?
Viele haben die Hoffnung auf eine Liberalisierung, doch ich halte das für eine Illusion. Gestern ist ein Abgeordneter des letzten Parlaments bei einer Demonstration verhaftet worden. Wenige Tage zuvor wurde der Korrespondent des russischen Fernsehsenders NTV, der russischer Staatsbürger ist, aus Weißrußland ausgewiesen. Und das alles passierte, während die Verhandlungen über den Vertrag bereits liefen. Solange Lukaschenko an der Spitze des Staates steht, wird er versuchen, die Situation mit den bekannten Mitteln unter Kontrolle zu halten.
Es ist ja immer die Rede davon, daß Rußland und Weißrußland in einer Union ihre Souveränität behalten. Ist das auf Dauer real?
Die Union ist der Beginn einer Kettenreaktion. Sobald die beginnt, sind die Chancen groß, daß Weißrußland von der politischen Landkarte verschwindet. Das ist nur eine Frage der Zeit. Die Folgen in Weißrußland würden in einem solchen Fall tragisch sein. Es würde eine Konfrontation geben, und es würde Blut fließen. Interview: Barbara Oertel
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