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Eine äußerst fragwürdige Verbindung

Nach Korrekturen in letzter Minute wurde gestern die Union zwischen Rußland und Weißrußland feierlich begründet. Die Presse zieht sogar Vergleiche zum Hitler-Stalin-Pakt  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Von der Notwendigkeit, den Brauch der Aprilscherze zu reformieren, sprach gestern die Moskauer Tageszeitung Kommersant: „Den 1. April können wir künftig nur noch als eine Art Vorfest betrachten, während die eigentliche Feier des Narrentums unter Teilnahme höchster Staatsmänner auf den Zweiten des Monats verschoben wird.“

Anlaß zu dieser Feststellung lieferte die gestern um zwölf Uhr erfolgte feierliche Gründung einer Staaten-Union zwischen Rußland und Belorußland durch die Präsidenten Jelzin und Lukaschenko. Nach wochenlangen Streitigkeiten in der Öffentlichkeit wurde das Dokument in letzter Minute geändert. Es machte den Eindruck, daß dies alles nicht in Moskau stattfand, sondern in Schilda, als Boris Jelzin von seiner Bereitschaft sprach, das Dokument einen Monat lang der „Öffentlichkeit“ zur Diskussion zu stellen. Da aber kein Referendum geplant ist, ist diese Diskussion reichlich unverbindlich.

Nicht daß die RussInnen befürchten müßten, am 3. April in einem neuen Staat aufzuwachen. Auch früher schon wurden partielle Einigungsverträge zwischen Moskau und Minsk unterzeichnet. Abgesehen von der ein Jahr alten Zollunion, die sich für Rußland dank der durchlässigen belorussischen Grenzen nach Westen zu einer kostspieligen Angelegenheit ausgewachsen hat, blieben sie weitgehend auf dem Papier. Den Zorn der reformorientierten Presse und Politiker aus dem demokratischen Lager erregte aber der verschwörerische Mauschel- Stil, in dem das Dokument vorbereitet wurde. Sogar Vergleiche mit dem Hitler-Stalin-Pakt forderte dieses Vorgehen heraus. Nur einzelne Paragraphen waren letzte Woche auf den Zeitungsseiten durchgesickert. Rätselhaft erschien vielen RussInnen Präsident Jelzins Entschluß, ausgerechnet den für seine originelle Auffassung von Menschenrechten bekannten Diktator Lukaschenko staatsrechtlich in die Arme zu schließen, dessen ökonomisch marodes Ländchen für Rußland zum Faß ohne Boden werden könnte. Der Vertrag scheint die simple Voraussetzung zu ignorieren, daß zwei Länder auch in der Praxis halbwegs übereinstimmende Rechts- und Regierungssysteme haben sollten, um sich zu vereinigen. „Müssen wir künftig etwa auch die belorussischen Korrespondenten aus Moskau ausweisen?“ fragte der Kommersant und spielte auf die kürzlich erfolgte Ausweisung des Journalisten Alexander Stupnikow an, dessen Berichterstattung Lukaschenko nicht zusagte.

Vor allem das Verhältnis der obersten Machtorgane des neuen Gebildes zu den höchsten staatlichen Institutionen Rußlands und Belorußlands warf Fragen auf. So soll an der Spitze der neuen Institution ein „Oberster Rat“ stehen, dessen Beschlüsse für die Regierungen beider Länder bindend sein sollten. In dessen Vorsitz sollten sich die Präsidenten der beiden Länder alle zwei Jahre abwechseln, so daß der Tag abzusehen gewesen wäre, an dem Lukaschenko auch die Russische Föderation auf internationalem Parkett vertreten hätte – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Die Änderungen in letzter Minute haben vermutlich gerade diese Punkte betroffen. Jedenfalls verlautete gestern aus offiziöser Quelle, das neue „Statut“ enthalte nichts, was den russischen Präsidenten zwinge, auch nur ein Quentchen seiner Vollmachten abzutreten.

„Der stärkste Anstoß für die ganze Angelegenheit kommt aus Jelzins eigener Brust“, meinte dagegen Andrej Piontkowski, Direktor des Moskauer „Zentrums für Internationale Studien“: „Er möchte nur zu sehr den Komplex loswerden, der dem russischen Imperium den Todesstoß versetzte, und sich das Image eines Einigers der russischen Lande erwerben.“

Falls Jelzin drauf und dran gewesen sein sollte, dem Lukaschenko-Regime aus purer Nostalgie einen Blankoscheck auszustellen, so beruht sein Einlenken gegenüber den Kritikern der neuen Union im eigenen Lande offenbar auf der Notwendigkeit, sich mit jenen frisch rekrutierten Mitgliedern der russischen Regierung gutzustellen, die ihm den letzten Kredit im Volke sichern. Bekannt wurde, daß Anatoli Tschubais und Boris Nemzow für eine Entschärfung des „Statutes“ kämpften. Dagegen war eine möglichst hautenge staatliche Bindung an den „slawischen Bruder“ Lukaschenko das Ziel von Waleri Serow, des dritten stellvertretenden Ministerpräsidenten, für dessen Verbleiben in der Regierung sich Premier Wiktor Tschernomyrdin stark gemacht hatte.

Finanziell zugute käme der Anschluß der belorussischen Wirtschaft mit Sicherheit dem russischen Erdgasmonopolisten GASPROM, der über belorussische Pipelines künftig seine Ware nach Europa transportieren könnte. Als führender GASPROM-Lobbyist gilt nach wie vor der Premier Tschernomyrdin.

„Wenn die belorussische Karte mit seinem Segen aus dem Ärmel geholt wurde, dann sollte man an seiner zur Schau getragenen Fähigkeit zweifeln, zusammen mit Tschubais und Nemzow unsere hochkomplizierten Aufgaben zu lösen“, sagt Otto Lazis, Starkommentator der Iswestija.

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