Propellerinseln in Wilmersdorf

Einmal so berühmt sein wie Pink Floyd: Lars Stroschen, Intermedialist, Gesamtkünstler und nach zwei Jahren Arbeit Schöpfer eines der ungewöhnlichsten Hotels in Berlin, porträtiert  ■ von Ania Mauruschat

Gelegentlich schwirrt etwas Krautrock- oder Techno durch den bizarren Kosmos des Lars Stroschen. Ein Spaceshuttle ist allerdings nicht nötig, um so weit vorzudringen. Es reicht die U7 bis Adenauerplatz. Dort, in der Paulsborner Straße, befindet sich das Zentrum von Stroschens Gesamtkunstwerk.

Kein Witz: Stroschen lebt in einem Kunstwerk. Das er auch noch selber geschaffen hat. „Propeller Island“ ist der Name für ein Sammelsurium seltsamer Klänge, befremdlicher Gemälde und ungewöhnlicher Räume. Letztere sind als „Propeller Island City Lodge“ anzumieten, selbst für normalsterbliche Erdlinge. Sie müssen allerdings 50 bis 180 Mark pro Nacht mit sich führen und für Selbstverpflegung sorgen.

So einfach die räumliche Annäherung ist, so schwierig ist der Überblick. „Propeller Island“ ist ähnlich verzweigt wie die unzähligen, von künstlichen Spinnweben umwucherten Äste, die durch die Flur-Küche am Eingang ragen. „Ich bin kein Hotelier“, sagt Stroschen, „ich bin nur jemand, der tausend Ideen hat und diese auch umsetzen kann.“ Aber „irgend jemand“ will der 36jährige große, hagere Mann mit den langen, dunkelblonden Haaren auch nicht sein. Stroschen ist Künstler, genauer gesagt, „Intermedialist“. Ein vertrackter Beruf, aber „typisch für unsere Zeit“, wie Stroschen findet. Schließlich schafft ein Intermedialist „medienübergreifende, elektronische Kunst“.

Neue Töne beispielsweise, die Stroschen mit dem Computer kreiert und auf CDs preßt – für andere Musiker zum Samplen. Aus demselben Material komponiert Stroschen – der früher unter anderem mit dem ehemaligen Tangerine- Dream-Mitglied Conrad Schnitzler zusammengearbeitet hat – aber auch elektronische Avantgardemusik: für seine normalen CDs, die er in einer Auflage von fünfhundert bis tausend über sein eigenes Label „offscale“ vertreibt. Außerdem macht Stroschen Computergraphiken und was ihm sonst noch so einfällt.

„Eigentlich war die City Lodge dazu gedacht, meinen Projekten eine Plattform zu bieten und sie zu finanzieren“, erzählt er, „aber das klappt noch nicht. Alle zwei Wochen habe ich mal einen Gast. Als letztes hat vor fünf Wochen Zappi von der Krautrockband ,Faust‘ im orangenen Zimmer gewohnt.“ Anlaufschwierigkeiten: Fertig war das letzte Zimmer der Lodge zwar schon Ende 1994, offiziell eröffnet ist sie aber immer noch nicht. „Dieser ganze Bürokratiekram und das Organisieren, das liegt mir einfach nicht“, sagt der Künstler, der darum auch gerade einen Manager sucht.

Stroschens bisherige Gäste – meist englischsprachig und aus der DJ-Szene – sind durch Mundpropaganda in dem bewohnbaren Kunstwerk gelandet, so wie jene DJs, die während der Love Parade die ganze Lodge bevölkerten. „Die Technoleute wollen immer im Spiegelzimmer wohnen“, erzählt der Hausherr. So haben die Techno-Chanteuse Nicolette und der amerikanische DJ Stacy Pullen dort genächtigt: Wände, Fußboden, Decke, Schreibtisch, Schrank, Vorhänge – alles ist in Aquamarinblau gehalten. Und in den großen Plastikscheiben, die sich an den Seiten wie aufgeblähte Segel wölben, spiegelt sich das Licht der Deckenbeleuchtung. Daneben liegt die „Burg“: In diesem Zimmer biegen sich in allen Bonbonfarben unzählige Türme und Türmchen, auch der Schrank aus Spanholz ist ein Turm. Das riesige Bett in der Mitte ist die Burg. Selbst im nur 1,40 Meter hohen „Zwergenzimmer“, einer umgewandelten Abstellkammer über dem Klo, träumte zur Love Parade ein Gast – umgeben von zahlreichen Gartenzwergen.

Zur Chill-out-Atmosphäre dieses Zimmers muß auch beigetragen haben, daß es ganz am Schluß des zweijährigen Baurausches entstand – eineinhalb Jahre ohne freien Tag, täglich von frühmorgens bis spät am Abend zugange, „mindestens“. Drei Monate hat Stroschen, trotz der Hilfe von zwei Freunden, allein für das Burgzimmer gebraucht – so lange, wie er ursprünglich für die ganze City Lodge eingeplant hatte.

„Eigentlich“ wollte Stroschen ja nur zwei Zimmer seiner riesigen Wohnung als Büroräume vermieten – und hatte auch schon mit dem Umbau angefangen. Als sich jedoch eine Freundin aus Westdeutschland weigerte, in seiner Baustelle zu übernachten, und auch nicht in dem „fiesen“ Hotel um die Ecke schlafen wollte, hatte Stroschen die Idee zu dem ungewöhnlichen Hotel – und prompt noch eine zweite Wohnung in dem angrenzenden Eckhaus dazugekauft.

In dieser City Lodge II befindet sich auch das orangenfarbene Zimmer (orangene Matratze auf orangenem Podest unter orangener Decke) und das Symbolzimmer (280 weiße Tafeln mit 280 verschiedenen Symbolen auf Wand, Boden und Decke). Am verwunderlichsten jedoch ist die Küche der City Lodge II. Mit ihren weißen Wänden, dem Holztisch und Natursteinboden hat sie Toskana- Charme. Angenehm normal. Wer allerdings genauer hinguckt, entdeckt neben den Lampen, den Regalen und der großen gerahmten Computergraphik von Stroschen kleine Schildchen, die die Objekte als Kunstwerke von Jasper Johns, Kurt Schwitters und Robert Rauschenberg ausweisen. Größenwahn? „Eine überspitzte Hommage an die objets trouvés von Marcel Duchamp“, beruhigt Stroschen.

Zurück in den Privatgemächern, durch die Weihrauchwogen wabern, sagt Stroschen dann plötzlich: „Ich habe zwei große Dinge in meinem Leben gemacht: einmal die Musik für ein Stück des Tänzers Ismael Ivo und jetzt das hier. Allerdings hat mich diese Arbeit nicht gerade zum Menschenfreund gemacht, weil ich gelernt habe, daß du dich den Leuten gegenüber, die für dich arbeiten, arschlochmäßig verhalten mußt, sonst tanzen die dir auf der Nase rum.“ Kurz stockt er und sinniert dann: „Das ist für mich eine doppelt harte Erfahrung, denn eigentlich wünsche ich mir nichts mehr, als zukünftig durch die Welt zu reisen und mit anderen Leuten Projekte zu machen, die einen weltberühmt machen. Jetzt weiß ich, daß das nahezu eine Illusion ist.“

Mit Stroschens Weltreisebedürfnis hat auch der Name Propeller Island zu tun, „eine relativ freie Übersetzung“ des deutschen Titels des Jules-Verne-Buches „Die Propellerinsel“. „Das war eines der wenigen Bücher, die ich gelesen habe“, erzählt der Intermedialist. Begeistert war Stroschen von diesem Pseudonym für sein intermedialistisches ×uvre besonders deshalb, weil es „dieses Innovative und Supermoderne hat, das ist in die Zukunft schauen und am Puls der Zeit sein.“ Wie das Pseudonym so die Kunst.

Bevor der virtuelle André Heller von Wilmersdorf zu seiner künstlerischen Weltreise aufbrechen kann, hat er in seiner Propeller Island City Lodge aber noch tausend Dinge zu erledigen: Prospekte drucken, die „Universe of Art“-Homepage im Internet (http://www.propeller-island.net4. com) updaten, ebenso wie das 44 Seiten starke und 30 Mark teure Handbuch zu Person und Werk Lars Stroschens. Menüs ausarbeiten für die „chicen Nächte“, die Stroschen demnächst mit einer „sehr guten Köchin“ in seiner City Lodge anbieten will. Im Sommer die vier neusten Avantgarde-CDs veröffentlichen. Und dann muß ja auch noch die Propeller Island City Lodge überhaupt erst eröffnet werden. Zur Zeit ist die „Vernissage“ für Mai angesetzt.

Lars Stroschen erzählt in seiner leerstehenden Propeller Island City Lodge und erzählt und erzählt. Von seinen Plänen und Taten. „Der Traum ist einfach, daß dieses Propeller Island in zehn Jahren mal so berühmt ist wie Pink Floyd.“ Sagt Lars Stroschen.