: „Ich bin ein geheimer Komiker“
In den 60ern war er Agit-Jazzer, heute ist er es immer noch: Gary Bartz hat gerade seine „Blues Chronicles“ veröffentlicht. Der Altsaxophonist und Bandleader über Segregation, Selbstverwaltung und Jazz als engagiertem Sozialkommentar
taz: Ende der 60er Jahre gründeten Sie eine Agitprop-Band mit dem Namen NTU-Troop. Warum NTU?
Gary Bartz: Ntu ist ein Bantu- Wort aus der Bantu-Sprache in Afrika. Es ist ein Suffix, z.B. ist Bantu Ba-ntu, Montu ist Mo-ntu usw. Ntu ist für mich ein Wort, das die gesamte Kunst Afrikas enthält und damit die Kunst der ganzen Welt.
Warum Troop?
Wir waren eine „Social Message Band“, ungefähr so, wie es heute viele Rapper sind. Wir richteten uns an die afroamerikanische Community, weil wir Probleme hatten – und immer noch haben. Jazz ist kreative Musik und engagierter sozialer Zeitkommentar zugleich.
Wo war Ihr Publikum?
Wir spielten an vielen Orten, an denen schwarze Kunst präsentiert wurde, und arbeiteten an Universitäten zusammen mit Studenten der black arts sowie Schwarzen, also afroamerikanischen Studenten, und kooperierten auch weltweit, zum Beispiel mit Bob Marley, den wir in San Francisco bei gemeinsamer Radioarbeit kennenlernten. Wir versuchten einfach, mit allen afroamerikanischen Künstlern zusammenzuarbeiten. Ich folgte Malcolm X und John Coltrane, versuchte mich in ihrem Umfeld zu bewegen und in ihrer Gesellschaft zu fühlen. Das sind zwei besondere Menschen, Vorbilder für mich.
Gibt es ein Stück aus der NTU- Zeit, das Ihre Intentionen am besten repräsentiert?
Wahrscheinlich „Uhuru Sasa“, das sich auf der Platte „Harlem Bush Music Uhuru“ findet. Uhuru heißt Freiheit, sasa heißt jetzt, also Freiheit jetzt.
Einer Ihrer NTU-Standards hieß „Rise“.
Rise bedeutet eigentlich nichts Besonderes, nur daß man nicht untätig herumsitzen soll. Eigentlich meint es rise for the truth.
Auf Ihrer aktuellen CD „The Blues Chronicles: Tales Of Life“ hat es den „One Million Blues“ – Ihr Tribut an Louis Farrakhans Marsch auf Washington. Denken Sie, daß Farrakhan der neue afroamerikanische Leader ist?
Also ich weiß nicht... Wenn Sie in diesem Zusammenhang von Leader sprechen: Wer ist eigentlich ein Leader? Zweifellos brachte Farrakhan über eine Million Afroamerikaner und andere Männer, die ähnlich denken und fühlen, nach Washington, was eine sehr starke Aussage für einen sehr wichtigen Tag ist, es gab dort eine sehr positive Energie. Ich war dort und habe sie gespürt. Doch was Leader anbelangt... Würden Sie Clinton einen Leader nennen? Er ist der Präsident, aber folgt ihm jemand? Man muß seiner eigenen Politik folgen. Farrakhan ist mit Sicherheit ein Wortführer der Afroamerikaner in diesem Land, aber eben auch nur einer unter vielen.
Ihr Mentor Max Roach sagt, daß die schwarzen Amerikaner wieder zur Segregation zurückkehren sollten. Deshalb setzt er viel Hoffnung in Farrakhan.
Ich traf Max, als ich 14 war, kenne ihn also die meiste Zeit meines Lebens, und er hat meine Lebensphilosophie geprägt. Wir sind faktisch in vielerlei Hinsicht immer noch segregiert. Schwarze, die zum Beispiel Hotels besaßen und ihre eigenen Schulen hatten, verfügten nach der offiziellen Abschaffung der Segregation nicht mehr über diese Plätze, hatten also keine Orte mehr, an denen sie etwas über ihre Kultur lernen konnten. Man mußte Teil der weißen Kultur werden. Dasselbe passierte den Indianern: Man versuchte sie zu amerikanisieren und ihnen ihre Kultur wegzunehmen. Folglich verstehe ich, was Max meint – das muß nicht unbedingt negativ gewertet werden. Wir sind bereits segregiert, wo liegt also das Problem? Es würde keinen Rückschritt bedeuten, lediglich eine stärkere Selbstverwaltung unseres eigenen Business und unserer Lebensart. Wir haben hart daran gearbeitet, ein integrierter Teil dieser Gesellschaft zu werden, aber was immer wir auch taten, die Türen blieben verschlossen. Wenn man zu lange vergeblich an falsche Türen klopft, muß man sich seine eigenen bauen.
Was ist mit der wachsenden schwarzen Mittelschicht, von der soviel die Rede ist?
Ich sehe keine wachsende Mittelklasse. Es gibt zwar mehr Leute mit mehr Geld, doch sie machen nichts daraus, außer es gleich wieder zurückzugeben. Welchen Zweck hat das letztlich? Diese Leute sehen gar nicht, was hier eigentlich passiert, denn das Rassenspiel wird gespielt, um die Leute zu trennen, anstatt sie zusammenzubringen, was wir all die Jahre versucht haben zu tun. Das Problem sind die Kräfte, die die Rassenkonflikte am Leben erhalten. Dieses sollte ein einheitliches Land sein, doch man hat zwei Möglichkeiten: entweder ein segregiertes Land oder eins, das jeden akzeptiert. Man muß weiß sein, um in diesem Land Rechte zu haben, doch selbst die Weißen haben nicht immer alle Rechte. Wir sind alle gleich und müssen das endlich erkennen.
Das könnte noch funktionieren – die alte Black-and-white-unite- Version?
Ich glaube schon, daß das funktionieren kann, doch einige Leute stellen sich dagegen. Ein Beispiel, das sich wirklich ereignet hat: Eine weiße Frau im Süden tötete ihre beiden Kinder und erzählte dann der Presse, daß es ein Schwarzer getan hätte. Die Presse verbreitet solche Sachen überall, anstatt sie zu untersuchen. Irgendwann kam heraus, daß sie selbst es war, doch in der Zwischenzeit wurde die gesamte Region in Aufruhr versetzt. Das ist nur eine kleine Sache, doch so was passiert jeden Tag.
„The Shadow do“ – war das Mitte der 70er Ihr Versuch, kommerziellen Erfolg zu haben?
Was heißt hier kommerziell? Alles, was ich je gemacht habe, ist kommerziell, denn ich will es verkaufen. Sobald etwas auf dem Markt ist, ist es auch kommerziell. Beethoven war ein Held für mich. Ich habe über ihn gelesen, daß er zunächst etwas Leichteres komponierte und danach etwas Tragenderes, also etwas Politischeres, Stärkeres. Diese Idee gefiel mir, und genau das habe ich auch in meiner Karriere zu tun versucht. Mein erstes Album „Labour“ war etwas Leichteres, das nächste dann, „Another Earth“, war ein schwierigeres, und „The Shadow do“ wieder ein leichteres.
Auf Ihrer aktuellen CD covern Sie „Lively up yourself“.
Bob Marley traf ich in den frühen 70ern, also bevor er zur Ikone wurde. Wir verbrachten etwa eine Woche zusammen mit unseren Bands, spielten zwar in verschiedenen Clubs, trafen uns aber bei dieser Radioshow. Ich mochte Bob Marleys Musik schon immer, seinen Spirit und das, wofür er stand.
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Wir sprachen dieselbe Sprache. Das ist mein Tribut an Bob Marley.
„The Five Dollar Theory“, so heißt ein weiterer aktueller Titel von Ihnen, was soll das sein?
Ja, das ist eine persönliche Theorie von mir, eine Finanztheorie. Wenn alles auf der Welt fünf Dollar kosten würde, gäbe es zwar keine armen Leute mehr, aber weiterhin Leute mit schlechtem Geschmack, z.B. würde einer für fünf Dollar einen Mercedes kaufen und ein anderer einen Ford Escort – für fünf Dollar, weil alles eben nur fünf Dollar kostet. Das würde vermeintlich eine Menge Probleme verringern. Eine lustige Theorie. Ich bin ein geheimer Komiker.
Welcher Titel auf „Blues Chronicles“ repräsentiert Ihre politische Haltung heute am ehesten?
Vielleicht „Passage“. Weil das Stück eine Art Geschichtsstunde ist, das sich an jüngere Leute wendet. Es ist mehr oder weniger das, was ich auch mit der NTU-Troop tat. Die NTU-Troop hat mich nie wirklich verlassen, ich schrieb auch weiterhin Musik für sie, auch wenn wir sie nie gespielt haben. Ich hatte immer die Absicht, irgendwann zumindest eine weitere Platte oder eine Tour mit ihnen zu machen. In „Passage“ geht es um die Geschichte der schwarzen Amerikaner aus der Sicht des jungen Rappers Ransom.
Sie sind bei Atlantic Records unter Vertrag.
Atlantic bringt die Platten auf den Markt, kümmert sich aber nicht um sie. Wir versuchen dann wie blöd, die Platten zu promoten. Es ist komisch: Die Plattenindustrie kann Platten promoten, auf denen von ganz schlimmen Dingen gesungen wird, aber wenn sich mal die Wahrheit auf ihren Platten findet, haben sie Probleme damit. Ich frage mich, warum.
Hustler's Holler hat es gleich mehrere auf Ihrer aktuellen CD. Was ist ein Hustler's Holler??
Ein Hustler ist jemand, der versucht, Dinge zu verkaufen, zum Beispiel Schuhe. Ich wuchs in Baltimore in der Nähe eines Stalles auf; dort gab es diese Pferdewagen, mit denen sie durch die Straßen zogen und Gemüse, Fisch und andere Lebensmittel verkauften. Man kann sie schon von weitem kommen hören, alle haben einen Holler, ein spezielles Lied, das ihre Waren anpreist, das ist also der „Hustler's Holler“. Eigentlich versucht ja jeder etwas zu verkaufen, sogar die Kirche. Ich auch.
Der Jazzmusiker Wynton Marsalis wurde 1996 vom „Time Magazine“ zu den 25 einflußreichsten Persönlichkeiten in Amerika gerechnet. Sehen Sie in dem Erfolg von Marsalis schwarzen Fortschritt repräsentiert?
Es gibt eine Menge dunkelhäutige Leute, die es nicht besser wissen und darauf hereinfallen. Das ist das alte Problem, ein sehr altes Spiel, das immer noch funktioniert. Das Business hat viel Anstrengung darauf verwendet, die Real Jazz Musicians von den Younger Jazz Musicians abzuspalten. Mit Real Jazz Musicians meine ich Leute, die wirklich nur das spielen, was sie gerade fühlen. Die Popjazzmusiker, zu denen ich die meisten der jungen Jazzmusiker zählen möchte, waren nie im Studio, bevor sie ihre erste Plattenaufnahme machen, sie wissen also überhaupt nichts vom Aufnehmen und ebensowenig, wie man gute Musik kreiert. Sie haben nur gelernt, ihr Instrument zu spielen, und brauchen einen Produzenten, der ihnen alles andere erklärt und diktiert. Das ist kein Jazzmusiker, sondern eben ein Popjazzmusiker. Kein Produzent konnte Thelonious Monk dazu bringen, seinen chinesischen Hut abzunehmen, weil sich das auf dem Cover vermeintlich besser mache, oder „Blue Monk“ mit etwas Latin Percussion hier und etwas schneller da zu spielen. Wenn Wynton heute sagt, daß er keinen Jazzmusiker über 30 engagiert – come on! –, heißt das doch nur, daß da gar kein Jazz mehr gespielt werden kann, weil es eben nur ganz wenige Real Jazz Musicians unter 30 gibt. Real Jazz Musicians sind ihre eigenen Produzenten, die meisten jungen Jazzmusiker hingegen bekommen heute kaum noch 'ne Chance, ihre Hausaufgaben zu machen. Interview: Christian Broecking
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