: Der slawische Bruderbund macht Polen keine Angst
■ Die Union Rußlands mit Weißrußland hat in polnischen Augen keine Zukunft
Warschau (taz) – In Polen macht sich Unbehagen breit: Was braut sich hinter der Ostgrenze zusammen? Wie wird sich die neue Union zwischen Weißrußland und Rußland auf Polen auswirken? Muß die Grenze stärker gesichert werden?
Seit Wochen verfolgen die polnischen Medien mit größter Aufmerksamkeit die Entwicklung im Nachbarstaat Weißrußland. Lange Interviews mit den führenden Oppositionellen des Landes lassen vor allem eins deutlich werden: tiefe Ratlosigkeit. Alle europäischen Staaten des früheren Ostblocks haben sich seit der Auflösung der Sowjetunion die Freiheit des Wortes, freie oder soziale Marktwirtschaft und Demokratie auf die Fahnen geschrieben. Nur Weißrußland huldigt noch immer alten Praktiken und Ideologien.
Die Gefahr, so heißt es einhellig in der polnischen Presse, geht von Aleksander Lukaschenko aus, auch wenn er nur zehn Millionen Menschen vertritt, Boris Jelzin hingegen gut 150 Millionen Staatsbürger. Lukaschenko strebt nach einem Sitz im Kreml, und er kann seiner Lobby in Rußland ziemlich sicher sein: den alten Kommunisten, die die Mehrheit in der Duma stellen, und der Armee, die ihre Stellungen gerne bis an die Ostgrenze Polens vorschieben würde.
Dennoch gehen die meisten polnischen Kommentatoren davon aus, daß die Mesalliance zwischen Rußland und Weißrußland einer offenbar „politischen Paranoia“ entsprungen sei und keine Zukunft habe. Denn, so fragt Leopold Unger in der Gazeta Wyborcza, der führenden Tageszeitung Polens: „Wen und wie wird Bill Clinton nun ins Weiße Haus einladen? Jelzin in den Salon und Lukaschenko in die Küche? Soll in Denver auf dem Gipfel der G 7 ein Stuhl bereitgestellt, oder müssen zwei Plätze reserviert werden? Einer im Salon und einer in der Küche?“
Der „Anschluß Weißrußlands“ sei für Rußland ein reines Minusgeschäft, so Unger. Innenpolitisch, so Bartlomiej Sienkiewicz, Vizedirektor des Instituts für Oststudien in Warschau, könne Jelzin mit der Unionsdeklaration die Nationalisten in seinem Land beruhigen. Für die Nachbarländer Weißrußlands und insbesondere für deren Landsleute, die in der letzten Diktatur des Ostens leben, signalisiert die Stärkung der rot-braunen Nationalisten eine unmittelbare Gefahr.
Vor einigen Tagen erst warnte Lukaschenko in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung die in Weißrußland lebenden Polen. Er werde es nicht zu einer „Balkanisierung“ Weißrußlands kommen lassen. In Polen, so Lukaschenko weiter, würden antiweißrussische Strukturen aufgebaut. Oppositionelle verließen das Land und würden von Polen aus gegen ihr Vaterland agieren. Der Nationale Sicherheitsrat werde demnächst überprüfen, inwieweit die im grenznahen Grodno lebenden Polen damit zu tun hätten.
Der polnischen Minderheit, nach offizeillen Angaben über 420.000 Menschen, drohte Lukaschenko an, daß das Recht gegen sie „hart, aber in Maßen“ angewandt werde. Für die polnische Regierung kam dieser Ausfall Lukaschenkos völlig überraschend: „Die Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen“, so Pawel Dobrowolski gegenüber der Warschauer Tageszeitung Zycie. Gabriele Lesser
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