■ Vorschlag
: Eigentlich nicht wiederzuerkennen: John Cale in der Kulturbrauerei

Warum er sich vor nun fast vier Jahren die ebenso kurze wie freudlose Reunion von Velvet Underground angetan hat, erklärte John Cale einmal damit, daß er ein Kollaborateur sei. Das hätte einem auch in den Sinn kommen können, wenn man zum ersten Mal die letztjährige Soloplatte „Walking on Locust“ hörte, seine erste nach einer langen Zeit, die er vor allem mit Soundtracks für „Basquiat“ und „I Shot Andy Warhol“ ausgefüllt hatte. Als wollte er sich endlich anbiedern ans Popgeschäft, dem er jahrzehntelang so erfolgreich aus dem Weg gegangen war. Doch schnell merkt man dann, daß auch das wieder nur einer jener vielen überraschenden Züge war, die Cale niemals müde wird zu tun. Daß diese Platte zwar seine eingängigste seit „Caribbean Sunset“ von 1983 geworden ist, aber immer noch ausreichend Widerhaken und Stolpersteine hat, um sein Image als graumäusig genialer Widerpart zu Lou Reed nicht an den Mainstream auszuliefern.

Statt dessen läßt sich „Some Friends“ gar lesen als endgültiger Abgesang auf die immer wiederkehrenden Versuche, sich mit dem Egomanen Reed auszusöhnen: „Hardly believing we realise that some friends pass on.“ Andere Freunde bleiben, neue werden gefunden. Mo Tucker hat wieder einmal das Schlagzeug bedient, so stoisch wie das seit der gemeinsamen Zeit bei Velvet Underground ihre Art ist. Und David Byrne hat zum ersten Mal für Cale ein wenig Gitarre gespielt, obwohl die beiden sich schon seit Jahren kennen und die Töchter öfter mal zusammen spielen.

So ist eine Platte entstanden, die zwar die hymnischen Gesangslinien von Cale hat, und manchmal tauchen selbst die typischen, atemlos vorwärtstreibenden, fast klaustrophobischen Songstrukturen auf, zerfetzt von kurzen Akkorden, aber eigentlich ist er kaum wiederzuerkennen, um so vieles „leichter“, wie Cale es selbst beschreibt, ist „Walking on Locust“ geraten. Er selbst genießt es, nicht mehr nur den Miesepeter geben zu müssen, aber Absicht war das nicht. Zum Teil schiebt er es den marokkanischen Musikern in die Schuhe: „Ich habe sie nie unter Kontrolle bekommen. Die ganze Zeit bat ich sie, sich etwas zu beruhigen.“ Trotzdem ist „Walking on Locust“ weit davon entfernt, Cales Ethnogeschenk an die Welt zu sein. Aber diese Platte steht in der Tradition von „Fear“ und „Paris 1919“ aus der ersten Hälfte der Siebziger. Wer einen dieser sich selbst verzehrenden Auftritte erwartet oder einen Cale als einsamen Mann mit Akkorden am Klavier, der dürfte enttäuscht werden. Trotzdem wäre es schön, wenn er noch einmal „Heartbreak Hotel“ zum besten gäbe. Thomas Winkler

Mit The Sands, Nikki Sudden und Bobo, 6. 4., 20 Uhr, Kulturbrauerei, Knaackstraße 97, Prenzlauer Berg