Akademische Puppenstube

Peter Glotz' neue Uni in Erfurt will Maßstäbe für die Hochschulreform setzen. Seit vergangener Woche ist das Rektorenteam komplett
■ Von Jana-Michaela Baldauf

Wer in Erfurt Abitur macht und studieren will, muß mindestens bis Jena fahren – und das, obwohl es in der thüringischen Landeshauptstadt seit drei Jahren wieder eine Universität gibt. Aber die besteht bisher nur aus einem kleinen Büro und einer Pressestelle, die schon einmal in die Welt hinausposaunt, was hier Großes entstehen soll. Es gibt noch keine Hörsäle, keine Bibliothek, keine Mensa. Seit vergangener Woche gibt es aber immerhin schon ein dreiköpfiges Rektorenteam. Zu dem prominenten Rektor Peter Glotz, ehemaliger bildungspolitischer Sprecher der SPD, gesellen sich als Prorektoren der Tübinger Historiker Dieter Langewiesche sowie der Heidelberger Soziologe Wolfgang Schluchter. Ersterer ist Leibniz- Preisträger, gilt als führender Historiker auf dem Gebiet des 19. und 20. Jahrhunderts und war von 1993 bis 1995 im Wissenschaftsrat. Letzterer ist ausgewiesener Max- Weber-Experte und seit Jahren in verschiedenen Rollen mit dem Umbau der ostdeutschen Hochschullandschaft beschäftigt.

Das dreiköpfige Team will bis zur Jahrtausendwende eine Universität auf die Beine stellen, an der alles anders und natürlich besser werden soll als an den Massenbetrieben. Ohne Überfüllung, leidenschaftslose Professoren, desinteressierte Studenten, Frustration. Eine Art Puppenstube akademischer Bildung soll hier entstehen – rein geisteswissenschaftlich organisiert, mit sechs- bis zehntausend Studenten an zehn Fakultäten. Glotz nannte das Erfurter Modell in seiner Antrittsrede als Universitätsrektor im Herbst ein „Labor für neue Entwicklungen im deutschen Hochschulwesen. Reformen, die uns gelingen, können auf Dauer auch anderen Hochschulen nicht vorenthalten werden.“

Diese Reformen entsprechen so etwa den Hauptforderungen der hochschulpolitischen Diskussion der vergangenen Jahre: mehr Wettbewerb, mehr Leistung, mehr Flexibilität. Statt Freiräumen verschulte Strukturen. Einen „Radikalismus der Effizienz“ wünscht sich Glotz, verbunden mit einem „Konservatismus der Idee“.

Den durchweg geisteswissenschaftlichen und bisher an relativ freies Lernen gewöhnten Studenten dürfte der Konservatismus besonders augenfällig sein: Jeder bekommt einen „persönlichen Professor“, mit dem er eine Stunde pro Semester seinen Studienablauf durchzusprechen hat. „Wildwüchsige individuelle Selbstorganisation“ wird durch verbindliche Lehrpläne ersetzt. Das zweite Studienjahr erreicht man nur nach bestandener Zwischenprüfung. Freier wird das Studium in puncto Abschlüsse: Die Erfurter wollen ein Bachelor einführen und – wie an einigen anderen Universitäten auch – die Möglichkeit, ohne Magisterprüfung direkt zu promovieren. Mit diesem Konzept, das gibt er unumwunden zu, will Glotz die Elite locken: „Wir müssen die Besten bekommen.“ Schließlich galt die Erfurter Universität schon im 16. Jahrhundert als Bildunghochburg des Heiligen Römischen Reiches. Hier studierte Martin Luther, bevor er in Wittenberg seine Thesen anschlug. Doch der Universitätsrektor will nicht nur die Studenten auf Kurs trimmen: „Fälschlicherweise“, so Glotz, sei mit den Talaren auch die „akademische Atmosphäre“ verschwunden. Die Lehre soll der Forschung gleichgestellt werden. Die Studenten sollen sich am Ende jedes Semesters in Fragebogen zu ihren Lehrenden äußern. Die kühnsten Träume des Peter Glotz gehen allerdings viel weiter: Gingen sie in Erfüllung, würde sich die Erfurter Universität ihre Studenten selbst aussuchen und diese kräftig zahlen lassen: „1.000 Mark pro Semester wären eine gewaltige Hilfe“. In einem Punkt hat er sich bereits durchgesetzt: Thüringen will noch im laufenden Jahr ein neues Hochschulgesetz verabschieden, das der Universität finanzielle Autonomie zusichert. Die Wiedereröffnung des traditionsreichen Hauses läßt sich die Landesregierung einiges kosten: 182 Millionen Mark bis zum Jahr 2005. Bis 1999, wenn die ersten Studenten kommen, sollen von dem Geld 200 Stellen geschaffen werden, die bis 2010 auf 800 auszubauen sind. Das Unigebäude soll auf einem Campusgelände außerhalb der Innenstadt neben der schon existierenden Pädagogischen Hochschule entstehen. Am Fächerkanon muß noch kräftig gefeilt werden: Von einer „kulturwissenschaftlichen Neuorientierung der Geisteswissenschaften“ ist bisher nur die Rede. Eine eher grobe Einteilung ist vorgesehen: weg von spezialisierten Fächern, hin zu übergreifenden Studiengängen. Auch Jura und Wirtschaftswissenschaft will die neue Uni anbieten, möglicherweise aber nicht einzeln, sondern in Anlehnung an das amerikanische Modell der School of Government oder Staatswissenschaften. Ein „Max-Weber-Kolleg“ für sozialwissenschaftliche Studien soll seinen Betrieb schon in diesem Jahr aufnehmen. Besonders verblüfft der Plan, eine Fakultät für katholische Theologie einzurichten. Zurückzuführen ist das wohl auf den konservativen Zürcher Theologen Hermann Lübbe, Vorsitzender des Erfurter Strukturausschusses. In dem Fall darf denn auch die Effizienz zurückstehen: Statt mit dem Bedarf wird die geplante Fakultät mit der „besonderen kirchlichen Lage im östlichen Teil Deutschlands“ begründet.