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Der Spot war die Botschaft

■ Stop making sense - revisited. Norbert Bolz durchmißt unsere Sinngesellschaft. Wer nach Sinn sucht, entflieht der komplexen Welt. Das böse Denken wird müde

Früher begannen Texte wie dieser: „,Les mots et les choses‘ zeigt, daß seit dem 17. Jahrhundert jede Sprache als Diskurs gilt, sofern das Sein der Sprache völlig ins Funktionieren der Repräsentation ...“ (taz vom 8.1. 1985) Es folgte ein ellenlanger Foucault-Exkurs über die grassierende Inflation des Diskursbegriffs. Der Text trug die antiprogrammatische Überschrift „Stop making sense“, sein Autor hieß Norbert Bolz, seinerzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der FU Berlin. Die Talking Heads gaben den Takt an, und Bolz inszenierte sich als luzider Sinndestruierer, gewaschen mit allen Wassern von Dekonstruktivismus, Religionsphilosophie und Heidegger-Exegese.

Bolz, ein Intellektueller aus Pop und Pose, wurde von der akademischen Elite rasch dem „rasenden Gefasel der Gegenaufklärung“ (Merkur, März 1985) zugerechnet. Von den Lehrstühlen aus sah man dem Nachwuchs, den es auf eben diese drängte, deutlich angewidert, aber aus sicherer Distanz bei deren „Lacancan und Derridada“ zu. Norbert Bolz galt als junger Böser des Denkens, und er wollte es sein. Zum Lesen seiner Bücher und Essays bedurfte es des unbedingten Willens zu philosophischer Artistik. Aber warum überhaupt lesen, was nicht darauf aus war, verstanden zu werden? Vor einiger Zeit sah man Norbert Bolz dann wieder als Werbeträger der Deutschen Telekom in einem Fernsehspot.

Mit „Die Sinngesellschaft“ legt Bolz, inzwischen Professor für Medientheorie und als Trendforscher in Essen tätig, ein erstaunlich luftiges Buch vor, als käme es ihm nunmehr darauf an, wenn schon nicht der Verständigung, so doch der Verständlichkeit zu huldigen. Ganz zur Freude des Econ-Verlages, der mit Trendprosa aller Art bemerkenswerte Auflagen erzielt hat.

„Die Sinngesellschaft“ ist freilich noch immer ein Kursus für Fortgeschrittene. Also wiederholen wir noch einmal: die Postmoderne. Sie sei keine neue Epoche, sondern eine semantische Katastrophe. Es geht nicht mehr um Entweder-Oder, sondern um Vielleicht und Und auch. Nichts ist unmöglich. „Komplexität ist unser postmodernes Schicksal.“ Und gerade deshalb, so Bolz, haben die Verheißungen von Einfachheit, Echtheit und Glaubwürdigkeit heute Hochkonjunktur. „Vernunft, Konsens, Authentizität, Unmittelbarkeit – das sind die Markenartikel der Sinngesellschaft.“ Aber, so der Produktberater Bolz, das Einkaufen auf diesem Markt ist per se Selbsttäuschung. Die vielfältigen Variationen der Sinnsuche münden schließlich in die Modernisierungsfalle. Das Streben nach Sinn, sei es nun in einer Sekte, beim Extremsport oder der Ökologiebewegung, bedeutet nichts weniger als eine Flucht aus der Komplexität. Aber das Faszinierende an der postmodernen Gesellschaft, führt Bolz recht plausibel und mit einem emphatischen Bekenntnis zur Systemtheorie Niklas Luhmanns aus, ist ihr bloßes Funktionieren. Es geht immer weiter. Sonst nichts. Alles ist ausdifferenziert und mediatisiert, die Welt ist komplex, aber entzaubert. Und für Systeme, die funktionieren, stellt sich die Frage nach Sinn erst gar nicht. Hinter dem technisch Machbaren lauert kein Dämon, der Umgang mit spezialisiertem Wissen ist weitgehend Vertrauenssache. Technik impliziert denn auch ausdrücklich Sinnverzicht. „Man legt den Schalter um, dreht den Zündschlüssel und berührt Sensoren – was dann genau geschieht, bleibt dunkel.“ Gerade dieses Dunkle ist die gute Nachricht der Bolzschen Aphoristik, die da lautet: Die Welt ist schwierig, aber gut. Unnötig zu erwähnen, daß Bolz von einem Ort jenseits der Gesellschaftskritik aus schreibt. Wer weiter Sinnlosigkeit empfindet, leidet daran, daß alles auch anders möglich wäre, also letztlich an der eigenen Freiheit. Der Sinnsucher durchleidet die Qualen des Depressiven, dem die Kontingenz eine Wahl unmöglich macht. Recht verstanden hieße Sinnlosigkeit freilich nichts anderes, als daß eine „bestimmte Konstruktion der Wirklichkeit nicht paßt“. So geht es weiter im Text, bei dem man sich nicht die Mühe machen sollte, einer Gedankenlinie zu folgen. Noch immer gilt die Parole der Talking Heads, gewissermaßen als Tarnkappe für alle Arten von Sinnproduktion. Bolz' Text funktioniert als Zitatkasten, der nicht verhehlen kann und will, daß er an einem PC entstanden ist. Einzelne Textbausteine kehren in verschiedenen Zusammenhängen wieder, und es entsteht eine fröhliche Redundanz, der durchaus Erkenntnisse und Theoreme, oder soll man sagen: Sinnhappen, zu entnehmen sind, die, kaum ausgesprochen, im Grunde schon nichts mehr wollen. Wenn es doch eine Message geben sollte, dann ist es die Aufforderung, sich nicht länger dagegen zu sperren, täglich eine neue Lektion hinzuzulernen. Norbert Bolz weiß darum, daß jeder Lernprozeß für den Menschen eine narzißtische Kränkung bedeutet, weil man altes Wissen über Bord werfen und sicher geglaubte Souveränität aufgeben muß. Genau das war sein elegant aufgesagter Hauptsatz in der Telekom- Reklame. Der Spot war schon die ganze Botschaft.

Mit einem gewissen systematischen Ehrgeiz werden darüber hinaus noch ein paar zeitdiagnostische Prognosen nachgeliefert. Es strotzt nicht gerade vor Originalität, wenn mit einer redlichen Begeisterung festgestellt wird, daß es in unserer Kultur möglicherweise nur noch einen Schauplatz des gesellschaftlich anerkannten Wettbewerbs gibt: den Sport. Texte aus dem Computer, darf man vermuten, werden nicht mehr durchgearbeitet, sondern gesampelt. Echter Bolz kommt allenfalls da zum Vorschein, wo er in Auseinandersetzung mit bewährten und gegen bewährte Referenzen wie Benjamin und Adorno die Klinge seines philosophischen Floretts führt. Gelernt ist gelernt.

Wer Norbert Bolz einst auch als provokanten Denker wahrgenommen hat, wird von der „Sinngesellschaft“ allerdings enttäuscht. Fast scheint es so, als seien dem Professor die Feinde von einst abhanden gekommen. Ein wenig gelangweilt nimmt man die Triumphmeldung zur Kenntnis, daß die 78er-Generation der Zaungäste (Reinhard Mohr) über die 68er gesiegt hat. Man wird den Eindruck nicht los, als habe Norbert Bolz dieses Buch in erster Linie für Pastor Friedrich Schorlemmer geschrieben, den sich der geneigte Leser als exemplarischen Bürger der Sinngesellschaft gut vorstellen kann. Harry Nutt

Norbert Bolz: „Die Sinngesellschaft“. Econ-Verlag, Düsseldorf 1997, 260 Seiten, 58DM

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