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U-Bahn-Netz zu verkaufen

Die altehrwürdige Londoner „Tube“ verkommt immer mehr. Dringend müßte investiert werden. Die Tories wollen sie nun privatisieren  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Manchmal fährt sie, manchmal nicht. Wer in London mit der U- Bahn unterwegs ist, muß bei Verabredungen flexibel sein: „Um zehn Uhr am Piccadilly Circus – wenn das nicht klappt, dann zu jeder vollen Stunde am selben Ort.“ Die „Tube“ ist längst zum Inbegriff für Unzuverlässigkeit geworden. Jetzt wollen die Tories die U-Bahn privatisieren, so haben sie in ihr Wahlprogramm geschrieben, damit sie wieder auf Vordermann gebracht wird.

Investitionen sind bitter nötig. Die Katastrophe von Kings Cross, als 1987 bei einem Feuer in dem verkehrsreichsten Knotenpunkt Londons 33 Menschen starben, kann sich jederzeit wiederholen. 32.000 Menschen schieben sich wochentags durch die röhrenförmigen Gänge, die fünf U-Bahn-Linien miteinander verbinden. Bisweilen schließen die Angestellten zur Rush-hour den Bahnhof wegen Überfüllung. Dann fahren die Züge bis zum nächsten Bahnhof durch, die Fahrgäste müssen sich oberirdisch durchschlagen.

Immer wieder kommt es zu kleinen und großen Pannen: Im April vorigen Jahres fiel der Strom aus. 90 Prozent aller Züge standen plötzlich still, Tausende Passagiere saßen fest. Im selben Monat kamen 31 Menschen mit Rauchvergiftung ins Krankenhaus, weil ein 40 Jahre altes Kabel durchgeschmort war. Im November legte ein Stromausfall das gesamte Netz lahm. Weil auch die Notstromaggregate ausfielen, verbrachten die Fahrgäste mehrere Stunden im Dunkeln. Im Dezember wurden die Bahnhöfe Oxford Circus und Regent's Park wegen eines Feuers geschlossen, die Bakerloo Line stellte den Verkehr ganz ein.

Aber auch die kleinen Ärgernisse verleiden den Passagieren das U-Bahn-Fahren: verdreckte Bahnhöfe, Lautsprecheransagen, die kein Mensch versteht, kaputte Rolltreppen. Auch die Gleisanlagen sind in erbarmungswürdigem Zustand. Doch statt sie zu reparieren, begrenzt man einfach die Geschwindigkeit, damit die Züge nicht entgleisen. Und dann hat die U-Bahn-Verwaltung im Januar obendrein die Fahrpreise um neun Prozent erhöht.

Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Der Betreiberin, London Underground, sind die Mittel drastisch gekürzt worden. 1,2 Milliarden Pfund hätten in den vergangenen Jahren investiert werden müssen, nur um den Standard zu halten. So wollen die Tories auf ihre Lieblingslösung zurückgreifen, die Privatisierung. Das gab Transportminister George Young Ende Februar bekannt. Schließlich ist die Londoner U-Bahn das letzte öffentliche Transportmittel, nachdem Häfen, Fluglinien, die Autoindustrie und vor kurzem auch die Eisenbahn verscherbelt worden sind. Im Gegensatz zu den bisherigen Privatisierungen will die Regierung diesmal jeden Penny, der durch den Verkauf hereinkommt, wieder in die U-Bahn stecken.

Drei Modelle sind möglich: Man kann die U-Bahn in einem Stück verkaufen, sie in die einzelnen Linien aufsplitten oder – wie bei der Eisenbahn – das Streckennetz getrennt verhökern, so daß die U-Bahn-Betreiberfirmen für die Schienennutzung zahlen müßten. Interessenten gibt es viele, zum Beispiel Railtrack, der das Eisenbahnschienennetz gehört, und Stagecoach, das Busunternehmen, das auch verschiedene Bahnlinien betreibt.

Die elf Londoner U-Bahn-Linien befördern mehr als 2,5 Millionen Passagiere jeden Tag. Das 400 Kilometer lange U-Bahn-Netz verbindet 266 Bahnhöfe miteinander. Im Norden reicht es bis Buckinghamshire, im Osten bis Essex, im Süden bis Surrey und im Westen bis zum Flughafen Heathrow. Früher ging es im Osten weiter bis nach Epping, doch die zehn Kilometer lange Strecke wurde 1994 stillgelegt.

Kritiker der Privatisierung befürchten, daß es der U-Bahn wie der Eisenbahn ergehen wird: Die profitablen Strecken werden modernisiert, während die weniger genutzten Verbindungen seltener bedient oder ganz eingestellt werden. Ob es aber überhaupt zur Privatisierung kommt, ist ungewiß. Die Labour Party und die Liberalen Demokraten haben bereits angekündigt, daß sie den U-Bahn- Verkauf stoppen wollen, falls sie nach den Wahlen am 1. Mai etwas zu sagen haben.

Doch ändert der Ausgang der Wahlen nichts am Zustand der U-Bahn. Auch die Oppositionsparteien müssen sich Gedanken darüber machen, wie die „Tube“ zu sanieren ist, sonst bleibt sie eines Tages für immer stehen. Labour-Politiker favorisieren ein Modell, wonach der private Sektor zwar finanziell herangezogen werden soll, die Kontrolle der U-Bahn jedoch in Staatshänden bleibt. Genaueres hat die Partei bisher nicht verraten. Labour-Chef Tony Blair warf der Regierung lediglich vor, sich durch den Verkauf der maroden Bahn der Verantwortung zu entziehen.

Es wäre freilich nicht das erste Mal, daß die Londoner U-Bahn in Privatbesitz ist. Charles Tyson Yerkes, ein US-Unternehmer, der vor seinen Schulden und der Mafia aus Chicago flüchten mußte, kam im Jahr 1900 nach London und erkannte sofort die Profitmöglichkeiten, die eine elektrische U-Bahn bot. Yerkes tat Geldgeber auf, elektrifizierte die District Line und baute die Bakerloo, Piccadilly und Northern Lines. Yerkes' Kraftwerk an der Lots Road in Chelsea versorgt heute noch das gesamte U-Bahn-Netz mit Strom – oder eben auch nicht, wie die vielen Pannen zeigen.

Beim Bau der Northern Line übernahm sich Yerkes finanziell und ging pleite. Die U-Bahn blieb mit Ausnahme der Metropolitan Line bis 1933 in Privatbesitz. Dann wurde sie, ebenso wie die Linienbusse, verstaatlicht.

Nun soll sie wieder privatisiert werden, wenn es nach den Tories geht. Der Anfang war nicht sehr verheißungsvoll: Auf dem Weg zum Unterhaus, wo er die Privatisierungspläne verkünden wollte, blieb George Young im Drehkreuz am Ausgang stecken. Er hatte seine Fahrkarte an der automatischen Sperre in den falschen Schlitz gesteckt. Der Transportminister ist das U-Bahn-Fahren eben nicht gewöhnt.

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