■ Vorschlag: Kürlauf: Ilja Richter als strippender Ansager im Renaissance-Theater
Andrea hat samtweiche Schenkel und die erotischsten Kniekehlen weit und breit. Andrea bietet den letzten klassischen Striptease auf deutschem Boden. Aber Andrea kommt nicht. Schon zum zweiten Mal ertönt die Auftrittsmusik (Verdi), leuchten die roten Lämpchen an der Showtreppe auf – von Andrea keine Spur. Warten auf Godot im Rotlichtviertel. Also erzählt uns der Ansager, ein kultivierter Herr im Smoking, der die Bibel und Simone de Beauvoir zu seiner Lieblingslektüre erklärt hat, en detail, was wir eigentlich hätten zu sehen kriegen sollen. Alle Hüllen würden fallen, bis auf den letzten roten Dessous-Tanga.
1995 wurde dieses Solo von Bodo Kirchhoff am Düsseldorfer Schaupielhaus mit Ilja Richter uraufgeführt; ein Wunschprojekt, um das er sich lange bemüht hat. Warum, wird schnell deutlich: Dieser Monolog des Ansagers über Mütter, platonische Geliebte, Männer, die nachrücklich betonen, nicht schwul zu sein, Fernsehen und Talkmaster wird mehr und mehr zu einem Akt der Selbstentblößung. Seelenstriptease eben. Für Richter fast auf den Leib geschrieben und auch ein Stück weit selbstironische Abrechnung mit der eigenen Showvergangenheit. Seine Gesten, Bewegungen und Sprechweisen zitieren die große Zeit der deutschen TV-Moderatoren und Fernsehhelden wie Didi Hallervorden. Ilja Richter schlägt aus dem aberwitzigen Geplapper schauspielerisches Potential, ist mal peinlich verlegen, mal aufgekratzt schwatzhaft, dann neurotischer Lüstling.
Doch letztlich ist Richter ein souveräner Handwerker, der reichlich Funken aus dem Textmaterial schlägt, aber keine überzeugende Figur auf die Bühne zu stellen vermag. Sein Regisseur Detlef Altenbeck hat sich allzu offensichtlich auf die darstellerischen Fähigkeiten seines Akteurs verlassen. Die Situation des hilflosen Ansagers ist vom ersten Augenblick an nicht glaubhaft. Dafür ist alles viel zu sehr auf Effekt und frivole Pointe hin inszeniert. Die Tragik, das Jämmerliche und letztlich Traurige dieser Figur – all dies wird in den 80 Spielminuten nur momentelang sichtbar. Das Ende ist vorhersehbar. Der Ansager selbst zeigt, was er den ganzen Abend versprochen hat: den roten Schlüpfer und sonst gar nichts. Ilja Richter steht da auf seinem Stuhl, die Arme ausgestreckt wie eine Pieta, der Slip hängt schlapp von den Hinterbacken. Ein bleicher Ritter von der traurigen Gestalt. Und von Andrea keine Spur. Axel Schock
„Der Ansager einer Striptease-Nummer gibt nicht auf“, von Bodo Kirchhoff. Nächste Vorstellung am 27. April und 25./27. Mai um 20 Uhr im Renaissance-Theater, Knesebeckstraße 100
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