: Der Anwalt wird zum einzigen Zeugen
In peruanischen Terroristenprozessen haben die Angeklagten keine Chance. Auch die US-Amerikanerin Lori Berenson wurde wegen Unterstützung der MRTA-Guerilla verurteilt ■ Aus Lima Ingo Malcher
Als der Rechtsanwalt Grimaldo Achahui Loaiza zum Prozeß seiner Mandantin Lori Berenson kam, wurde er am Gefängnistor von Polizisten in Kampfanzügen in Empfang genommen. Zum Gerichtssaal brachte ihn ein Gefangenentransporter ohne Fenster. Seine Bewacher hatten Kapuzen auf, so daß er ihre Gesichter nicht sehen konnte. Sie hätten ihn transportiert, als ob er selbst ein Gefangener sei, schildert der 51jährige im Gespräch mit der taz. Ganze 20 Minuten hatte Achahui dann Zeit, um sich durch die 2.000 Seiten dicken Prozeßakten durchzukämpfen. Seiner Mandantin, einer US- Bürgerin, wurde in dem Verfahren im Dezember 1995 vorgeworfen, ein führendes Mitglied der peruanischen „Revolutionären Bewegung Tupac Amaru“ (MRTA) zu sein, die derzeit die Residenz des japanischen Botschafters in Lima besetzt hält.
Berenson und Achahui haben weder Richter noch Staatsanwalt jemals zu Gesicht bekommen. Beide saßen hinter einer abgedunkelten Glasscheibe, wie es in Peru bei Prozessen gegen vermeintliche Terroristen üblich ist. Im Gerichtssaal sah Berenson nur ihren Anwalt und einen Wachmann mit Kaputze und Gewehr. Zuschauer oder Prozeßbeobachter gab es nicht. „Bei solchen Verfahren kann man keine Zeugen laden oder Gegenüberstellungen machen“, beklagt sich Achahui. „Das einzige, worauf sich das Gericht stützt, sind die Ermittlungen der Polizei.“ Bewiesen werden müssen diese Ermittlungsergebnisse nicht.
Wie bei allen Terroristenprozessen konnte Achahui auch im Falle Berenson keine Verteidigungsstrategie mit seiner Mandantin planen. Die Treffen zwischen Rechtsanwalt und der Angeklagten fanden immer unter Polizeiaufsicht statt. Auch während des Prozesses konnte der Anwalt seiner Mandantin nicht zu einer Antwort raten. Das einzige Mal, daß Achahui den Mund aufmachen durfte, war, um das Schlußplädoyer zu halten. Damit wird der Anwalt in peruanischen Terroristenprozessen letzlich zum einzigen Zeugen des Verfahrens degradiert. Einen Einfluß auf den Ablauf des im Schnellgang durchgezogenen Prozesses hat er nicht. So wurde Berenson zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.
Knapp einen Monat zuvor, am 30. November des gleichen Jahres, war die US-Amerikanerin in einem Linienbus in Lima festgenommen worden. Einen Tag später gingen den peruanischen Sicherheitsbehörden 22 MRTA-Guerilleros nach einer Schießerei in einem Vorort von Lima ins Netz. Unter den Festgenommenen befand sich auch die Nummer zwei der MRTA, Manuel Rincón. Die Sicherheitsbehörden beschuldigen Berenson, das Haus, in dem sich Rincón versteckt hielt, angemietet und für ihn gekocht zu haben. Nach Ansicht der Behörden hat Berenson auch den Chef der MRTA, Nestor Cerpa Cartolini, gekannt. Außerdem soll sie für die MRTA Waffen verschoben und Häuser angemietet haben. Stichhaltige Beweise blieb die Staatsanwaltschaft allerdings schuldig.
Lori Berenson stammt aus New York, wo ihre Eltern an einem College lehren. Im Jahr 1988 fuhr sie zum erstenmal nach Lateinamerika. Mit einem Austauschprogramm verbrachte die Anthropologiestudentin zwei Monate in El Salvador. Nach ihrer Rückkehr schmiß sie ihr Studium am angesehenen Massachusets Institute for Technology (MIT) und arbeitete in Solidaritätsgruppen in New York und Washington. Im April 1990 zog sie mit dem Geld für ihr Universitätsstipendium nach Nicaragua und später nach El Salvador. Im November 1994 verschlug es Berenson nach Peru.
Im September 1995 entschied sich Berenson, als Journalistin in Peru zu arbeiten. Zwei linke New Yorker Zeitschriften, Third World Viewpoint und In These Times, gaben ihr Aufträge und Presseausweis. Damit soll sie, so die peruanischen Sicherheitsbehörden, die MRTA mit wichtigen Informationen versorgt haben.
Für viele PeruanerInnen ist Berenson eine „Gringa“, die sich der MRTA angeschlossen hat. Denn nach ihrer Festnahme hat sie sich wie ein MRTA-Mitglied verhalten. Als sie in einer Art Raubtierkäfig Journalisten präsentiert wurde, brüllte sie: „Ich wurde verurteilt wegen meiner Sorge über den Hunger und die Misere, die hier existieren.“ Sie fügte hinzu: „Es geht hier nicht um die Liebe zur Gewalt. Es geht hier nicht um einen kriminellen Terroristen, weil es in der MRTA keine kriminellen Terroristen gibt. Es ist eine revolutionäre Bewegung.“
Der Fall von Lori Berenson ist nicht der einzige derartige in der peruanischen Prozeßgeschichte. Derzeit arbeitet eine Kommission an der Überprüfung von Terrorismusverfahren. Von 700 untersuchten Fällen hat die Kommission 100 zutage gefördert, in denen die Angeklagten unschuldig verurteilt wurden.
Mittlerweile hat sich auch Ex- US-Präsident Jimmy Carter für Berenson eingestzt. Sie will aber keine Sonderbehandlung, weil sie US-Bürgerin ist, sondern besteht auf einem fairen Gerichtsverfahren. Ihre Eltern bat sie, keine Kampagne für sie zu starten. Nach einem Vertrag zwischen den USA und Peru könnte Berenson in die USA ausgewiesen werden, wenn die peruanischen Behörden mitspielen. Aber in den Gefängnissen Perus sitzen auch chilenische MRTA-Mitglieder. Daher fürchten die Behörden, mit der Ausweisung von Berenson einen Präzedenzfall zu schaffen.
Die Chance, die Berenson bleibt, ist, daß sich die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ihres Falles annimmt. Einen entsprechenden Antrag hat Achahui bereits gestellt. Wenn die Kommission zu der Ansicht kommt, daß Berenson kein faires Verfahren hatte, „muß der Prozeß in Peru nochmals neuaufgerollt werden“, so Achahui. Doch zunächst heißt es warten. „Sie ist 26 Jahre alt und zu lebenslänglich verurteilt. Da sind drei, vier oder gar fünf Jahre Warten eine vergleichbar kurze Zeit“, macht Achahui sich und seiner Mandantin Mut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen