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Der lange Marsch eines ewigen Rebellen

Laurent-Désiré Kabila, Führer der Aufständischen in Zaire, beschäftigt sich seit fast vierzig Jahren mit der Revolution. Aber sein Lebenslauf liegt zu weiten Teilen im dunkeln. Porträt eines selten hartnäckigen Guerillaführers  ■ Von François Misser

In diesem Jahr feiert er seinen 59. Geburtstag – und vielleicht den Sturz von Zaires Präsident Mobutu. Dahinter steckt ein langer, abenteuerreicher Lebenslauf. Erst zwanzig Jahre war Laurent-Désiré Kabila alt, als er zuerst auf der politischen Bühne seines Landes auftauchte, das damals noch Belgisch- Kongo hieß und erst 1971 von Präsident Mobutu in Zaire umbenannt wurde.

Der in Ankoro im Norden der Südprovinz Katanga geborene Kabila war in den späten 50er Jahren Mitglied der Jugendorganisation von Patrice Lumumba, dem führenden Verfechter der Unabhängigkeit Kongos. Sein rhetorisches Talent fiel Jason Sendwé auf, Führer der Lumumba-treuen Partei Balubakat, die nach der Unabhängigkeit 1960 für die Interessen des Luba-Volkes eintrat.

Kurz nach der Unabhängigkeit zerfiel der Kongo. Katanga (heute Shaba) erklärte sich unter Moise Tshombé unabhängig – unterstützt vom Westen, das darin ein Bollwerk gegen den als Sozialisten geltenden und bald ermordeten Lumumba sah. Es erfolgte ein Aufstand der Balubakat gegen Tshombé. Kabila war der Militärführer dieses Aufstands.

Er scheiterte schnell. Der junge Guerillaführer Kabila floh nach Brazzaville und dann nach Belgrad. Im Januar 1964 kam es im Südwesten des Kongo, in der heutigen Provinz Bandundu, zu einem neuen Aufstand von Lumumba- Anhängern unter Exbildungsminister Pierre Mulele. Ein Nationaler Befreiungsrat (CNL) unter dem Maoisten Christophe Gbenye schickte Kabila zusammen mit einem anderen Militärführer der Aufständischen, Gaston Soumialot, in die burundische Hauptstadt Bujumbura, um von dort aus die ostzairischen Bevölkerungen im Süden der heutigen Provinz Südkivu und dem Nordosten Katangas zum Aufstand anzustacheln.

Damals brach Kabila mit Jason Sendwé und der Balubakat – Sendwé ergriff nämlich Partei für die Regierung. Als Führer der Rebellen, die sich „Simbas“ – Löwen – nannten, organisierte Kabila gegen Sendwé einen Putsch und ließ ihn im Juni 1964 verhaften. Wenige Tage nach seiner Freilassung wurde der Parteiführer ermordet. Anhänger Sendwés sind bis heute überzeugt, daß Kabila an dem Tod ihres Führers beteiligt war.

Wie auch immer – die von Kabila geleiteten Guerillaoperationen waren eine Katastrophe. Im Juni 1964 konstatierte Léonard Mitudidi, Sondergesandter des Guerillachefs Mulele: „Keiner von Kabilas Männern ist im Sinne der Prinzipien der Volksrevolution ausgebildet.“

Ein Jahr später besuchte auch Che Guevara die kleine kongolesische Guerilla. Er zeigte sich beunruhigt, daß Kabilas Buschkämpfer mehr mit Geschlechtskrankheiten kämpften als mit dem Feind und an Zauberkräfte glaubten. Für Kabila, den er im Februar 1965 in Tansanias Hauptstadt Daressalam traf, hatte Che Guevara nur das Kompliment übrig, daß er ein „guter Redner“ sei. Dennoch gebe es jetzt, so Guevara an Fidel Castro, in der von Kabila beherrschten Zone „eine Art organisierter revolutionärer Aktivität“.

Aber Che Guevara verließ den Kongo wieder im November 1965. Die Guerilla war gespalten und geschlagen, Söldnertruppen der mittlerweile von Mobutu geführten Regierung errangen die Oberhand. Und der lateinamerikanische Berufsrevolutionär war vielleicht ein wenig zu hastig in seiner Beurteilung.

Denn auch in der Niederlage gab Kabila nicht auf. Im kenianischen Exil gründete er 1967 die Partei der Volksrevolution (PRP) mit einem bewaffneten Arm FAP. Ihre erste Basis baute sie in der Provinz Südkivu auf, in der Nähe von Fizi am Tanganjikasee gegenüber von Burundi. Kabila unternahm unter seinen Anhängern eine ideologische Erneuerung und lehrte hier zum erstenmal die „sieben Irrtümer“ der vorherigen Aufstandsversuche, die auch heute wieder zum Unterrichtsstoff in den Ideologieschulen des „befreiten Kongo“ gehören. Die „sieben Irrtümer“ sind: mangelnde politische Bildung; übermäßige Abhängigkeit vom Ausland, das die „qualitativen Widersprüche“ des Kongo nicht verstünde; Vernachlässigung der Bauern; Tribalismus; Mangel an Diszplin und Selbstverleugnung; fehlende Zusammenarbeit zwischen Kämpfern und Volk; Fehlen einer revolutionären Partei.

Aber es ist unklar, ob Kabila seine sieben Prinzipien selber begriffen hat. Heri Njila, einstiger Kämpfer in einer mit Kabila verbündeten bewaffneten Gruppe im Südkivu, bewertet Kabila im Rückblick als einen Menschen, der Widerspruch ungern zuläßt und Genügsamkeit vor allem für andere predigt. Nach einem Überfall auf die Goldmine von Kamituga im Kivu 1968 habe sich der Rebellenchef nach Tansania abgesetzt, wo er Mercedes gefahren sei. „Und in dieser Zeit“, ereifert sich Njila, „hatten die Leute im Busch nicht einmal Salz!“

Militärisch wollte Kabila damals einen „Volkskrieg“ auf dem Land nach dem maoistischen Muster führen. Sieben Jahre lang merkte der Rest der Welt davon nichts, bis ein FAP-Kommando in Tansania vier Primatenforscher gefangennahm: eine Niederländerin und drei US-Amerikaner. Sie preßten damit 30 PRP-Aktivisten aus dem Gefängnis in Daressalam frei. 1971 schätzte Benoit Lukunku, Chef einer lumumbistischen Partei, die Anzahl der FAP- Kämpfer auf 1.500. Bald nannte man Kabila „mzee“ – ein Swahili- Wort, das Respekt gegenüber dem Alter ausdrückt. Die Kämpfer der PRP bezeichneten sich selbst als „musungile“ – Zwerge, die gegen den Riesen Mobutu kämpfen.

1977 eroberten zairische Elitesoldaten einen PRP-Militärstützpunkt, woraufhin die Kabila- Truppe ihre Taktik änderte. Sie ließ sich zur Tarnung in sogenannten „Konstellationen“ nieder, also normalen Häusern, und gründete eine Art Ministaat aus Kollektivfarmen mit Gesundheitsstationen und Schulen und einer Hauptstadt namens „Hewa Bora“ (Befreites Land). Das Überleben sicherte der Goldhandel und die Subsistenzwirtschaft. Der Belgier Philippe Borel, der diesen Kleinstaat besuchen durfte, lud Kabila im September 1982 nach Rotterdam zu einem „Volkstribunal“ ein, eine Nachfolgeveranstaltung der berühmten Russell-Tribunale zum Vietnamkrieg. Kabila erschien in Lederjacke und Goldkettchen und wetterte gegen das korrupte Mobutu- Regime.

Zwei Jahre später, im November 1984, errang die PRP ihren ersten großen Erfolg. Mit einem Marinekommando aus Tansania besetzte sie die zairische Hafenstadt Moba in der Nähe von Kalemie am Tanganjikasee. Der französische Leiter einer Fischerkooperative, André Lézy, geriet in Gefangenschaft – für sieben Monate, bis er in Burundi freigelassen wurde, ohne daß die französische Regierung die geforderten 600.000 Dollar gezahlt hatte. Wie Lézy danach erzählte, mußte er sich in einem Schauprozeß als „Major“ der französischen Armee bekennen und wurde wegen „Völkermord am kongolesischen Volk“ zum Tode verurteilt. Den PRP-Chef Kabila beschrieb Lézy so: „Er ist sehr intelligent und kultiviert, spricht mehrere Sprachen und ist das Hirn hinter der gesamten PRP.“ 1985 griff die FAP Moba erneut an, aber erfolglos. Danach zerfiel das kleine Guerillaland um Fizi. Kabila verließ Zaire – vorerst für immer.

In Tansania betrieb er Geschäfte und reiste nach Uganda, wo sein alter belgischer Freund Borel offiziell Viktoriaseebarsche nach Europa exportierte. Einigen Berichten zufolge soll Kabila gegen Ende der 80er Jahre John Garang besucht haben, Führer der SPLA-Guerilla im Südsudan. Manche behaupten sogar, Kabila sei damals mehrmals als Beauftragter Garangs zu Mobutu gereist.

In dieser Zeit verliert sich die Spur Kabilas. Erst im Oktober 1996 taucht er wieder auf – als „Sprecher“ der neugegründeten Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/ExZaire (AFDL).

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