Leiser ist leiser als Stiller

■ Die wahre Geschichte eines Doppelagenten als Kammerspiel: "Der rote Schakal" (20.15 Uhr, ARD)

„Ich bin nicht Stiller!“ könnte Schauspieler August Zirner kalauern, denn im Ost-West-Doppelagententhriller „Der rote Schakal“ ist er tatsächlich nicht Stiller, sondern Leiser. Werner Leiser, um genau zu sein, Leutnant im Referat 1 der Abteilung 13 des Sektors Wissenschaft und Technik in der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

Doch zugleich ist Leiser ebensowenig „nicht Stiller!“ wie Max Frischs Romanfigur, denn Werner Leiser ist die ARD-Variante von Werner Stiller, jenem real existierenden MfS-Mann, der am 18. Januar 1979 vom real existierenden DDR-Sozialismus in den Westen überlief, mit freundlicher Unterstützung des BND untertauchte und 13 Jahre später als Börsenexperte Klaus-Peter Fischer wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zurückkehrte. Doch das ist eine andere Geschichte, nachzulesen im Spiegel, 13-15/1992.

Die Geschichte, die der Fernsehfilm von Ex-Schimanski-Regisseur Hajo Gries erzählt, ist die von Werner Leiser und damit, wie Gries selber sagt, „eine von verschiedenen denkbaren Versionen über Stiller“.

Und diese Version ist nicht die schlechteste. Dafür hat an vorderster Stelle Ex-Schimanski-Autor Thomas Wittenburg gesorgt, der den Stoff nicht (in Analogie zur Historie) als Staatsaffäre, sondern (in Analogie zum Protagonistennamen) als Kammerspiel entwarf. Durchweg still und leise, wenngleich nicht ohne Ironie und Spannung, schildert „Der rote Schakal“, wie sich ein insgeheim ausreisewilliger Physiker von der Stasi anwerben läßt, um sich unter dem Vorwand wirtschaftsspionagetätiger Westeinsätze endlich absetzen zu können. Doch leider wirkt Leiser auf seine neuen Vorgesetzten zu clever, und wenn er mal ins Ausland kommt, dann heißt das nicht Berlin-West, sondern bloß Budapest.

Da ist es nur logisch, daß Leiser das unmoralische Angebot der Bundeskonkurrenz annimmt, die ihn für ein wenig Landesverrat mit der Aussicht auf einen westdeutschen Paß und ein Leben in Freiheit hinhält, bis... ja, bis sich nach anderthalb Stunden plötzlich der alte, über den Showdown „Friedrichstraße“ kopierte Tagesschau- Vorspann wie ein Gatter hymnisch in die Freiheit öffnet: Guten Abend, meine Damen und Herren! Der Spionageabwehr der Bundesrepublik ist offenbar ein Schlag gegen den DDR-Geheimdienst gelungen... – „Die ideale Agentenstory aus dem Kalten Krieg“ also, wie Sabine Christiansen am vergangenen Sonntag in den „Tagesthemen“ den Stiller/Leiser-Plot zusammenfaßte.

Weil aber so eine Doppelagentenstory naturgemäß eine verzwickte Angelegenheit ist, erscheint es fast schon verzeihlich, daß die großen Geheimdienstapparate derart zurechtgesetzt sind, daß sie als Gruppenbild problemlos auf den Bildschirm passen würden: hüben ein Bündel Nachrichtendienst, drüben die Mischpoke für Staatssicherheit und dazwischen (fast pausenlos präsent) August Zirner. Der Mann ist auf seinem Weg von Ost nach West sogar mit Schnurrbart noch derart sympathiestiftend, daß man ihm auch den Weg in umgekehrter Richtung verziehen hätte.

Groß sind die Unterschiede in „Der rote Schakal“ ohnehin nicht. Zwar sitzt da, wo auf deutschdemokratische Staatskosten gesoffen wird, manch miesere Type als dort, wo eine Bundesrepublik den Trotteln die Zeche zahlt; unterm Strich aber zeigt sich – von ein paar farbenfrohen Fahnen und Fähnchen einmal abgesehen – der Osten genauso desolat und Orwell-vergilbt wie der damalige Westen.

Und wenn im Epilog das unvermeidliche Nach-Wende-Wiedersehen zwischen Vater Leiser und seiner einst zurückgelassenen Tochter plötzlich in ZDFscher Serien-Asepsis daherkommt, scheint dieser Stilbruch nicht kitschig, sondern erstaunlich ästhetisch konsequent. „Insofern“, sagt denn auch Autor Wittenburg, „ist dieser Film auch ein Film über die deutsche Realität, die einem manchmal wie Fiktion vorkommt“, und verschweigt bescheiden, daß diese deutsch-deutsche Fiktion ziemlich realistisch rüberkommt. Christoph Schultheis