: Fast allen Wohl und niemandem Weh
Beschäftigungsgipfel des DGB begann mit einer Grundsatzrede des Vorsitzenden Dieter Schulte: Die Ökonomie sei nicht das Maß aller Dinge. Der Sozialstaat muß gerettet werden ■ Aus Berlin Annette Rogalla
Zwei Tage will der Deutsche Gewerkschaftsbund in Berlin „neue Wege aus der Arbeitslosigkeit“ suchen. Dieter Schulte, Vorsitzender des DGB, betonte in seiner Eröffnungsrede, Bundesregierung und Wirtschaft hätten im vorigen Jahr „eine große Chance für gemeinsames Handeln vertan“. Einschränkend meinte er, sich „nicht an dem müßigen Streit beteiligen“ zu wollen, „ob die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbiert werden kann“. Verfolgte der DGB einst noch dieses Ziel, so sollen jetzt nur noch „Trümmerhaufen“ vermieden werden. Vor solchen stünde die Gesellschaft in drei Jahren, wenn heute nichts getan werde. Was aber will der DGB machen? Mehr als vage Vorstellungen konnte Schulte gestern nicht umreißen. Noch nie seien die Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze „so gut“ gewesen wie heute. Danach folgte eine Schelte: „Der Verzicht auf Steuern aus Vermögen sowie sinkende Unternehmersteuern“ und „Mehrausgaben durch steigende Arbeitslosigkeit“ führten zu einem Anstieg der Neuverschuldung. „So macht man sich politisch selbst handlungsunfähig“, sagte Schulte. Zunächst werde das Geld für den Schuldendienst gebraucht – das dann aber für Bildung, Forschung und soziale Leistungen fehle.
Der Vorsitzende des DGB gab sich somit in seinem Grundsatzreferat vor allem moderat. Als Anreiz zur Schaffung neuer Arbeitsplätze nannte er an erster Stelle die Senkung der Lohnnebenkosten. Sie sind seit den siebziger Jahren stärker gestiegen als die Nettolöhne. Die Sozialkassen müßten von den versicherungsfremden Leistungen entlastet werden – allein 1995 wendeten die gesetzlichen Rentenversicherungen für sie mehr als 102 Milliarden Mark auf. Solche Aufgaben sollten durch Steuern finanziert werden.
Arbeit sei aber nicht mehr für alle da, räumte Schulte ein: „Deshalb brauchen wir die öffentlich geförderte Beschäftigung.“ Damit wandte er sich gegen den drohenden Abbau von AB-Maßnahmen. „Gesellschaftlich notwendige Arbeit gibt es mehr als genug“, rief Schulte. Die Delegierten quittierten seine Rede an diesem Punkt erstmals mit heftigem Beifall. Auch Schultes Kritik am „modischen Gerede vom schlanken Staat“ fand Applaus; der öffentliche Dienst dürfe „in öffentliche Magersucht abrutschen“. Populäre Statements, die die Delegierten mit Applaus belohnten.
Schulte plädierte für ein gemeinsames Europa. Allerdings: „Europa muß an erster Stelle die sozialen und beschäftigungspolitischen Erwartungen der Menschen erfüllen.“ Von der Bundesregierung verlangte er, daß sie dies zusichere. In Richtung derjenigen, die derzeit das inländischen Sozialhilfesystem zur Disposition stellten, warnte er: „Wer wegen Europa an die Sozialhilfe rangeht, handelt anti-europäisch.“ Ökonomie sei nicht das „Maß aller Dinge“.
Die Wirtschaft habe dem Menschen zu dienen „und nicht umgekehrt“. Er sei überzeugt, daß Deutschland auch unter den Bedingungen des verschärften Wettbewerbs durch die Globalisierung „ein guter Standort zum Wirtschaften und Leben bleiben wird“.
Mit diesen Worten entließ Schulte die Teilnehmer des DGB- Gipfels. In Arbeitsgruppen will man sich heute in verschiedenen Foren fragen, wie „die Zukunft gestaltet“ werden soll.
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