: Harburg: Grundwasser verseucht
■ Interne Papiere belegen: Krebsserregende Stoffe an der Bahnhofslinse wurden verschwiegen, um Investoren bloß nicht zu verschrecken Von Heike Haarhoff
Das Grundwasser im Bereich der Harburger Bahnhofslinse ist mit krebserregenden, leichtflüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen (LCKW) hochgradig belastet. Die überhöhten Konzentrationen sowie die daraus folgende Trinkwassergefährdung sind der Umweltbehörde und dem Bezirksamt Harburg spätestens seit November 1993 bekannt. Das geht aus Unterlagen und behördeninternen Papieren hervor, die der taz hamburg vorliegen.
Trotzdem wurden am Bebauungsplan „Harburg 54/Neuland 18“ munter weitergebastelt und die Bahnhofslinse als Standort für eine Mehrzweckhalle noch im März von Umweltsenator Vahrenholt (SPD) ernsthaft vorgeschlagen. „Unverzügliche Maßnahmen“, wie sie das Hamburgische Wassergesetz fordert, sobald bestimmte Richtwerte überschritten werden, unterblieben.
Die im Grundwasser festgestellten Schadstoffe stammen aus einer Deponie, auf der zwischen 1924 und 1945 „auch Reststoffe aus der chemischen Industrie abgelagert“ wurden, bestätigt die Bezirksversammlung Harburg in einer Antwort vom 24. Februar 1995 auf eine Bürgeranfrage.
Zur Beruhigung wurde hinzugefügt: „Eine gesundheitliche Gefährdung der Anwohner wird von der Umweltbehörde ausgeschlossen.“ Denn oberhalb der schadstoffbelasteten Schichten befinde sich in sechs Metern Tiefe eine undurchlässige Kleischicht.
Nach Informationen der taz liegt diese jedoch sehr viel tiefer, so daß die gefährlichen Stoffe keineswegs aufgehalten werden. Gefährdet ist die angebliche Undurchdringlichkeit der Schicht zudem, weil im „Plangebiet (...) noch mit dem Vorhandensein von Bombenblindgängern gerechnet werden“ muß, schreibt das Landesplanungsamt im März 1995.
Das Bezirksamt Harburg gab immerhin zu: „Halogenkohlenwasserstoffe stellen grundsätzlich jedoch ein hohes Grundwassergefährdungspotential dar.“ Das stimmt: Vinylchlorid (VC), das beim mikrobiologischen Abbau von Schadstoffen im Grundwasser entsteht, gilt als krebserregend. Messungen der Umweltbehörde vom November 1993 ergaben, daß der VC-Gehalt das 50fache des vom Bundesgesundheitsamt im Jahr 1992 als tolerabel eingestuften Wertes erreichte. Tendenz steigend: Spätere Wasseranalysen zeigten, daß der erste Grundwasserleiter in Harburg mit mehr als 400 statt der „erlaubten“10 Mikrogramm LCKW pro Liter belastet ist. Der Öffentlichkeit wurden diese Angaben ohne jeden Vergleichswert übermittelt. Anfragen von Bürgerschaftsabgeordneten zum Gefährdungspotential wurden ausweichend beantwortet: „Eine mögliche Grundwassergefährdung ist noch nicht abschließend geklärt.“
Behördenintern wuchs die Sorge, daß diese Informationen bekannt und mögliche Investoren abgeschreckt werden könnten. So heißt es in einer Niederschrift über eine Besprechung in der Stadtentwicklungsbehörde: „Es müßten eindeutige Aussagen bezüglich einer Unbedenklichkeit für die dort geplante (...) Bebauung gegeben werden.“ Ansonsten sei zu befürchten, „daß mögliche Investoren von den geplanten Vorhaben Abstand nehmen würden bzw. Entschädigungsansprüche geltend machen könnten“.
Das aber müsse vermieden werden. Zynisch heißt es in einem Papier, daß die „Sanierung der Deponie nach Realisierung der Bauvorhaben möglich“ ist.
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