: Chansons für schiefe Möbel
■ Erik Saties Chansons, Klavierstücke und absurde Späße in dem Programm „Le Songe De Monsieur Sadi“im Institut Français
Wenn ein klassischer Ohrwurm erst einmal in Werbespots und Film-Soundtracks verwurstet wird, kann den Komponisten kaum noch etwas vor dem traurigen, posthumen Los des One-Hit-Lieferanten retten. Der arme Carl Orff ist durch den Overkill mit „Carmina buranas“in Film, Funk und Fernsehen schon zum Folterknecht für sensible Ohren geworden, und auch Erik Saties „Gymnopedies“verkommen zuhörens zur Fahrstuhlmusik. Aber bei Satie entwickelt sich zum Glück auch eine Gegenbewegung mit vielen jungen KünstlerInnen und MusikerInnen, die die Werke des exzentrischen Einzelgängers neu entdecken und interpretieren. In Bremen gab es in der Konzertreihe DACAPO eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Satie-Abenden, und im Jungen Theater führten zwei Bremer Musiker Satie mit seinem Wahlverwandten Thelonius Monk zusammen.
Das Programm „Le Songe De Monsieur Sadi – Vom Umgang mit Erik Satie“, das jetzt im Institut Français vorgestellt wird, konzentriert sich auf die wenig gespielten Chansons des Komponisten. Als Brotjob begleitete Satie im Pariser Cabaret „Le Chat-Noir“die Chansonsängerinnen auf dem Klavier, und für die berühmte Diseuse Paulette Darty komponierte er Lieder – bekannt wurde davon nur der laszive Walzer „Je te veux“. Im Institut singen Marion Lantz und Friederike Füllgrabe auf Französisch (und ohne Untertitel!) Lieder mit solch seltsamen Titeln wie „Air du rat“, „Spleen“oder „L'Omnibus Automobile“, während sie die Zwischentexte von Satie auf Deutsch vortragen. Das Programm wirkt wie ein Zwitter zwischen den Sprachen und Genres, denn es ist alles andere als ein normaler Liederabend.
Der Pianist Dietmar Kirstein sitzt noch recht konventionell vor seinem Bar-Klavier am rechten Bühnenrand, aber er scheint sich auch in den absurdesten Situationen streng an eine von Saties Spielanweisungen zu halten: „Verändern Sie nicht Ihren Gesichtsausdruck, erbleichen Sie in der Magengrube“. Der Rest der Bühne ist mit extrem schiefen Möbeln ausgestattet: Mit einem Tisch und Stühlen, die direkt aus einem surrealen Gemälde oder einem expressionistischen Stummfilm zu stammen scheinen.
In diesem Tableau inszenieren die beiden Sängerinnen und Schauspielerinnen nun absurde Szenen, die Saties Nonsenstexte illustrieren sollen. So wird mit einer großen dramatischen Geste eine Süßigkeit in Mausform aus einer Papiertüte gezogen, es gibt eine Schlacht mit „Smarties“wie auf einem chaotischen Kindergeburtstag und eine Papierschwalbe wird zuerst gefaltet und dann doch nicht geworfen. Wie Sketche ohne Pointen, wie Szenen aus „Alice im Wunderland“, die selbst Lewis Caroll zu abstrus schienen, wirken diese Miniaturen – aber wie anders soll man eine stimmige Atmosphäre schaffen für solche Textzeilen Saties wie „Gerne würde ich auf einem Piano spielen, das einen großen Schwanz hat“.
Die Chansons wurden in erster Linie von Marion Lantz interpretiert. Die professionelle Sängerin mit Sopranstimme wirkte dabei wie eine puppenhafte Parodie auf die Diseusen aus Saties Ära, während Friederike Füllgrabe extrem stilisiert den Künstler als Außenseiter verkörpern soll, wenn sie Zitate Saties aus den „Memoiren eines Mannes, der sein Gedächtnis verloren hat“rezitiert. Als der Pianist nach einiger Zeit dann doch die „Gymnopedie I“und die ähnlich bekannte „Gnosienne III“spielte, wirkte dieses Wiedererkennen neben all den radikalen Widersinnlichkeiten der Show schon fast wie ein Stilbruch. Beim letzten Programmteil des Konzerts ist schließlich zu tadeln, daß der Pianist sich nicht an Saties eindeutige Vorgaben für den Vortrag gehalten hat: Bei der Komposition „Vexations“(„Quälungen“) soll „das vierfach ausgesetzte Baßthema achthundertvierzigmal gespielt werden“, bei Dietmar Kirstein hatte das Stück dagegen die Länge eines Werbespots. Welch ein Umgang mit Erik Satie!
Wilfried Hippen
Weitere Vorstellungen am 18., 19. sowie 25. und 26. April jeweils um 20.30 Uhr im Institut Français
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen