: Unvollständige Aufzählung
■ betr.: „Die Nerven liegen blank“, taz vom 2. 4. 97
Dilek Zaptçioglu kann „die Nachrichten über Brandanschläge nicht mehr ertragen. Ebensowenig die Nachrichten über Le Pens Pläne, über Haiders Macht, über Aussagen Kanthers...“ Wohl wahr, es wäre schöner, wenn es schönere Nachrichten gäbe. Aber die Aufzählung der Kommentatorin ist merkwürdig unvollständig. Man könnte fast den Eindruck bekommen, Herr Erbakan und Frau Çiller wüßten gar nicht, was ein Brandanschlag ist und wie man ein Haus abbrennt.
Tatsächlich ist es doch so, daß die Rechtsextremisten aller Länder, soviel Gülle sie auch ausschütten, sich merkwürdig einig sind in der Unterdrückung alles dessen, was nicht rechts (genug) ist. Oder hat der große blonde Hitler nicht mit dem kleinen schwarzen Mussolini gekonnt? Oder war die Legion Condor, die in Franco-Spanien gegen die Demokratie geflogen ist, eine Erfindung der Anarchisten?
Vielleicht ist es den Rassisten völlig egal, welchem Wahn jemand anhängt, Hauptsache er hängt daran. Richard Kelber, Dortmund
[...] Offensichtlich identifiziert sich die Korrespondentin der linksliberalen Cumhuriyet mit dem Stil der übrigen mehr oder weniger faschistisch-nationalistischen türkischen Presse, die völlig überzogen und pauschalierend Europa und insbesondere Deutschland angreift als die, „die wieder verbrannt haben“.
Leider ist es so, daß das, was Dilek Zaptçioglu zu Recht anprangert, aber zu Unrecht verallgemeinert, für die Rassisten und Nationalisten beider Länder gilt: Wir wissen genau, wer die Brände gelegt hat ... wir wissen um das geistige Klima, das die Täter treibt.
Die Korrespondentin eines Landes, in dem der Genozid an den Armeniern noch immer ein Tabuthema ist, in dem allein das Wort „Armenier“ als Schimpfwort angewandt wird [...], eines Landes, in dem die Tötung und Vertreibung von Angehörigen einer beträchtlichen Minderheit, der Kurden, an der Tagesordnung ist, ohne daß in Bevölkerung und Presse viel um das Unrecht gefragt oder diskutiert würde, sollte mit pauschalierenden Verdammungen sensibler sein und zumindest – wie das zum Beispiel Daniel Goldhagen getan hat – sehen, daß man hier mehrheitlich versucht, nichts zu vertuschen, weder die Verbrechen an der türkischen Bevölkerung in Deutschland noch an Asylbewerbern. [...]
Bei derartiger Politik, zu der die türkische Presse beharrlich schweigt, kann Dilek Zaptçioglu nicht ausgerechnet die türkische Presse und ihre Empörung über Minderheitenbehandlung und die, die „wieder verbrannt haben“, ins Feld führen. Ich gehöre nicht zu diesen „sie“ und Millionen anderer hierzulande ebenfalls nicht. Die Emotionen Dilek Zaptçioglus kann ich verstehen, auch ihre Unruhe und Angst, aber gerade in der taz hätte ich einen differenzierteren, der Schwere des Verbrechens angemessenen Kommentar erwartet. Dabei ist es auch keineswegs gleichgültig, wer die Täter nun wirklich sind. Ein Blick auf Seite 17 der gleichen taz genügt, um zu dem pauschalen Urteil zu gelangen: „Sie haben wieder gequält und gefoltert“, und damit alle Türken zu Folterern zu stempeln. Sicherlich ist es auch Dilek Zaptçioglu leid, sich immer wieder wegen Folterungen und anderer Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land beschimpfen zu lassen.
Der Himmel in Europa beginnt sich zu verdunkeln? Dagegen müssen wir ankämpfen und protestieren. Der Himmel über Südostanatolien aber, über Türkisch-Kurdistan, ist, ohne daß Proteste lautstark hörbar wurden, schon seit langem blutrot verdunkelt. Irina Wießner, Turkologin
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