Vom Türken und der Maus

Es gibt Manta-Fahrer-Witze, Blondinenwitze, Judenwitze, warum sollte es keine Türkenwitze geben? Einige Ansichten türkischer Jugendlicher  ■ Von Mustafa Kaplan

Nebliger Rauch hat sich in dem Lokal ausgebreitet. Die Kellnerin muß sich ranhalten, will sie den Bestellungen der zahlreichen Gäste schnell nachkommen. In der Ecke am Fensterplatz sitzen einige untersetzte Männer in ihren besten Jahren und unterhalten sich angeregt. „Ich kenne noch einen“, sagt der eine. „Eine Maus und ein Türke werden beim Überqueren der Autobahn von hundert Fahrzeugen überfahren. Beide werden derart platt gefahren, daß man sie kaum voneinander unterscheiden kann. Woran kann man feststellen, welche Überreste der Maus und welche dem Türken gehören?“ Die lüstern aufgerissenen Augen der anderen am Tisch verraten, daß sie die Antwort nicht kennen und gespannt die Auflösung des Witzes erwarten: „An den Bremsspuren. Auf der Maus gibt es Bremsspuren. Auf dem Türken nicht“. Gelächter. Stimmung. Der Wink zum Wirt: „Noch mal dasselbe!“

Türkenwitze machen nicht nur an den deutschen Stammtischen die Runde. Die Toiletten der Kölner Universität scheinen für sie auch noch gut genug zu sein. Seit einiger Zeit schon führt der 22jährige Sinan einen Privatkrieg gegen anonyme „Klowand-Witzeschreiber“. Bei jedem Toilettenbesuch fand der VWL-Student neue Türkenwitze an den Toilettenwänden. Einige seien sogar ziemlich „originell“ gewesen. „Frage: Woran erkennt man Flugzeuge der Turkish Airlines? Antwort: An den Gepäckträgern.“

Über solche einfältigen Witze kann der Kölner Türke, wie er sich selbst nennt, noch lachen. Da es keine Flugzeuge mit Gepäckträgern gäbe, seien solche Witze auch nicht gefährlich. Solange ein Witz harmlos sei, bleibe er noch im Rahmen des guten Geschmacks. Doch selbst für den toleranten Sinan haben Türkenwitze eine Grenze. Als er jüngst bei einer seiner Klovisiten einen „extrem türkenfeindlichen“ Witz entdeckte, platzte ihm schließlich der Kragen. Ein unbekannter Möchtegern-Spaßvogel hatte eine unvorstellbare Dreistigkeit an den Tag gelegt und folgende Frage über das Pissoir geschrieben: „Was bleibt übrig, wenn man einen Türken verbrennt?“ Die mindestens genauso dumme Antwort befand sich nur einige Zentimeter darunter: „Ford-Schlüssel“.

„Ich stand versteinert und hilflos da. Was muß man für ein Mensch sein, um nach den Brandanschlägen von Mölln und Solingen so etwas zu schreiben? Wenn schon die zukünftige geistige Elite eines Landes so einen Mist in den Mund nimmt, wundert mich nichts mehr“, sagt Sinan enttäuscht. „Es gibt im türkischen ein Sprichwort: Wenn der Hodscha furzt, darf die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde sogar scheißen“, fährt er wütend fort. Seither betritt Sinan die Toiletten der Kölner Universität nur noch mit einem wasserfesten Stift in der Hosentasche. Jederzeit bereit, ihn zu zücken. Alle „bösen, rassistischen und geschmacklosen“ Türkenwitze werden von ihm bis zur Unleserlichkeit übermalt.

Für den türkischen Rapper Fatih aus Köln hingegen ist es ganz wichtig, wer den Türkenwitz erzählt. Deutsche, die Türkenwitze erzählen, das sei so eine Sache. Er stelle sich dann jedesmal die Frage, ob sie vielleicht Vorurteile gegenüber Türken hätten, obwohl sie im Anschluß an den Witz beteuerten, ein „Türkeiliebhaber und ein Türkenfreund“ zu sein. Wenn er allerdings mit seinen türkischen Freunden alleine sei, erzählten sie einen Türkenwitz nach dem anderen. Bei den Schwarzen in Amerika sei das so ähnlich: „Kein Weißer würde sich trauen, ,Nigger‘ zu einem Schwarzen zu sagen. Dabei ist es ganz normal, daß sich die Schwarzen untereinander mit ,Nigger‘ begrüßen“, glaubt Fatih zu wissen. Für „Deutschtürken“, die in Anwesenheit von Deutschen Türkenwitze erzählen, hat der Jungrapper nur „strafende Blicke“ übrig, weil sie nach seiner Ansicht versuchen, sich bei den Deutschen anzubiedern und zu einer Gesellschaft dazuzugehören, von der sie ausgestoßen wurden.

Nein, Türkenwitze vor deutschem Publikum erzählen, das will Fatih nicht. Aber er hat eine Vorliebe für Polenwitze: „Wie hört sich das an, wenn ein Pole und ein Italiener Tischtennis spielen? Antwort: Polack-Kanak, polack-kanak, polack-kanak...“ Die Abiturientin Dilek hingegen findet es ganz „selbstverständlich“, daß es auch Türkenwitze gibt. „Es gibt Judenwitze, Araberwitze, Manta-Fahrer-Witze und Blondinenwitze. Warum sollte es also keine Türkenwitze geben?“ fragt die junge Türkin kritisch. Nur wer sich schwach fühle, lasse sich von Witzen, die ihn anvisierten, aus der Fassung bringen. Ganz nebenbei erinnert die 19jährige an das steigende Selbstbewußtsein der in Deutschland lebenden Jugendlichen türkischer Herkunft. Dazu fällt ihr auch rasch ein passender Witz ein: „Fragt ein Deutscher einen Türken: Wo geht's nach Aldi? Korrigiert ihn der Türke: Zu Aldi. Der Deutsche entsetzt: Was, schon halb sieben?“

Weil die erste Generation der Türken in Deutschland nicht so gut Deutsch sprach, hätten viele die Türkenwitze entweder gar nicht verstanden oder aus Unsicherheit das Schweigen vorgezogen. Da sei ihre Generation viel besser dran. Sie kann mit der deutschen Sprache spielen. Dilek empfiehlt den jüngeren Türken in Deutschland: „Es hilft nichts, sich über Türkenwitze zu ärgern. Die wird's immer geben. Mit ein wenig Phantasie kann man aber aus jedem Türkenwitz einen Deutschenwitz machen. Schließlich hat doch jeder das Recht, verarscht zu werden.“