■ Der ARD-Vorsitzende Reiter will einen Hauptstadtsender: Richtiger Zeitpunkt, wichtige Frage
„Das Ende ist nahe.“ Diese Botschaft ist von jeher finsteren Gestalten vorbehalten, die, den Plagen vorwegreitend, vom Untergang künden. Als der ARD- Vorsitzende Udo Reiter im Februar mit seinen Plänen zur ARD-Reform vorpreschte, nach dem Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk kurz mal wegfallen sollen, war nicht nur den kleinen Anstalten klar: Ein apokalyptischer Reiter ist unterwegs. Nun duckt man sich wieder gebannt vor dem Galopp. Der MDR-Chef will in Berlin statt des bestehenden SFB eine Gemeinschaftseinrichtung schaffen, getragen von allen Großsendern für das ganze Land. Prompt riecht es in der Hauptstadt wieder nach Untergang.
Dabei bedürfte die ARD gar nicht eines vorpreschenden Reiters, um sich auf Endzeitstimmung einzustellen. Wenn im Jahr 2000 ihre bestehende Rechtsgrundlage ausläuft, kann sie sich auf nichts mehr von dem verlassen, was ihre vergleichsweise komfortable Lage bislang ausmachte. Die Unterstützung der Politik gilt (siehe Bayern) jetzt schon den mächtigen Medienkonzernen Kirch und Bertelsmann. Auf deren mörderische Konkurrenz hat der Senderverbund bisher kaum Antworten gefunden. Zur Zeit hoffen alle nur, daß es nicht allzuschlimm komme.
In dieser Lage kann der ARD nichts besseres passieren als ein finsterer Udo Reiter. Mag sein, daß dessen Pläne unausgegoren sind, auch dessen Nähe zu Stoiber und Biedenkopf mag Angst auslösen. Doch Reiter beginnt die Debatte zum richtigen Zeitpunkt (nämlich nach der Gebührenerhöhung, wo an der Geldfront erst einmal Ruhe herrscht). Und er beantwortet die richtige Frage. Der ARD fehlt ein Gemeinschaftsdach, das stärker ist als der bisherige Vorsitzende. Ihr fehlt jemand, der die Diskussion um den öffentlichen Rundfunk führt – und dann eine Lobby organisiert. Und der ARD fehlt eine neue solidarische Struktur zwischen mächtigen groß- und schwindsüchtigen Kleinsendern.
Wie in den Sendern selbst mit dem Reformdruck umgegangen wird, führt der SFB vor, der Sender, der auf Reiters Abschußliste steht. Dessen zukunftsweisende Radiovereinbarung mit dem ORB, die den Gebührenzahlern mehr Programm für weniger Geld gibt, ist gefährdet. Der apokalyptische Reiter ist in den ARD-Anstalten vor allem wegen eines gefürchtet: Er könnte ihre Augen dafür öffnen, wie nah das Ende ist. Sie aber wollen lieber mit geschlossenen Augen untergehen. Lutz Meier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen