: "Wenn wir gewonnen hätten"
■ Die Ausstellung "Parteiauftrag - ein neues Deutschland" im Deutschen Historischen Museum über die frühe DDR-Propaganda zeigt vor allem viel über die Deutschen von heute
Stefanie Flamm hat Russisch und Geschichte studiert. Leider ist sie erst 26 und aus Aachen. Zu dumm, denn damit hat sie sich für ihren derzeitigen Job eigentlich disqualifiziert – finden jedenfalls manche Besucher des Deutschen Historischen Museums (DHM), wo die Studentin durch die Ausstellung „Parteiauftrag – ein neues Deutschland“ führt. Schon mehrfach mußte sich die junge Frau vorhalten lassen, daß sie ja nun gar nicht wissen könne, wie das damals in der DDR war. Eine Besucherin legte ihren ganzen verletzten Stolz in die Frage: „Glauben Sie wirklich, wir haben das alles geglaubt, was Sie uns jetzt hier von der Propaganda erzählen?“
Ein anderer, aus Bremen stammender Besucherführer, der durch die wessitypische Falschbetonung des Wortes Magdeburg aufgefallen war, mußte sich von einem beleidigten Ostler anhören, er wäre heute nicht hier, wenn „wir gewonnen hätten“. Wäre es anders gekommen, hätte es in der Tat diese Ausstellung und die beeindruckende Kontroverse um sie nicht gegeben.
Seit ihrer Eröffnung im Dezember vergangenen Jahres zog die Ausstellung nicht nur sensationelle 120.000 Besucher an (und wurde bis zum 27. Mai verlängert), sondern auch den Streit über das Zurschaugestellte wie kaum eine zuvor.
Gerade zu Anfang „ging ganz schön die Post ab“, erinnert sich Stefanie Flamm. Das sei manchmal „richtig schlimm“ gewesen, erzählt sie. Regelrecht „Schiß“ hätte sie vor allem vor dem Ausstellungsbereich zur Mauer gehabt. „Da brachen die Emotionen immer total aus den Leuten raus. Als ein Rentner mal einen langen Vortrag über die Notwendigkeit des Mauerbaus hielt, gab's danach einen heftigen Streit mit einem Westler.“
Wem die Leidenschaft oder der Mut zum direkten Disput fehlt, der greift zum Stift. Die Niederschrift der Zerissenheit ist einige hundert Seiten stark und liegt bald als Teil drei vor. Das Besucherbuch liest sich teilweise wie eine Sketchvorlage für die Harald-Schmidt-Show: „Dieser Staat, der sein Volk genauso propagandistisch dumm halten will (Werbung, Kabelfernsehen, Springer-Presse) und Personenkult betreibt (Michael Jackson, Steffi Graf, Adenauer), soll doch seine Schnauze halten.“ Ein anderer Gast verspricht: „Nach der nächsten Revolution gibt es eine Ausstellung über diese Ausstellung“, und lädt schon mal zur Liebknecht-Luxemburg-Demo ein. Als zynisch, obszön, tendenziös und indoktrinär empfinden vor allem Ostler die Exposition. Während jener Westberliner, der sein Mißfallen über das Abschalten der DDR- Radiosender nach der Wende äußert, weil es seitdem überhaupt keine richtige Volksmusik mehr im Radio gebe, mit seiner Ostalgie eher die Ausnahme unter den Westlern ist. Die Regel ist, zumindest im Besucherbuch, der offene Schlagabtausch über die Ausstellungsbeurteilung, die vor allem eine Beurteilung der DDR ist: „Es war schlimm“ folgt die Ergänzung „Jetzt ist es schlimmer.“ Weshalb ein anderer Besucher die „wertvollsten An- und Aussichten beim Blättern im Besucherbuch“ entdeckte.
Dank der mündlichen und schriftlichen Reaktionen bekam auch Stefanie Flamm schnell mit, was man beim Rundgang „besser nicht sagt“. Darum tauchen in ihren Erläuterungen oft die Worte „problematisch“, „umstritten“ und „differenziert zu sehen“ auf. Die „Zwangsvereinigung zur SED“, die Bewertung des 17. Juni 1953, die äußerlichen Parallelen zwischen NS- und DDR-Symbolik. Die differenzierte Sicht ist bei den Besuchern durchaus vorhanden, vor allem ältere Ex-DDRler erinnern sich nicht nur mit Schrecken des sozialistischen Propaganda- Alltags. „Auf die Aktivistenmedaille war ich schon stolz“, erklärt eine Frau im besten Vorruhestandsalter ihrer jungen Begleiterin beim Anblick der Arbeiterauszeichnungen. Und eine junge Ostbürgerin erzählt ihrem verdutzten Freund, der gerade über den nicht vorhandenen Unterschied von HJ- und Pionierbewegung sinniert, daß sie auch mal in so einem Pionierlager war. Mehr oder weniger angenehm nostalgische Gefühle produziert die Ausstellung nicht nur bei Ossis. Ein älteres Westpaar verfällt in schaurige Erinnerungen an die Passierscheinkontrollen an der Berliner Grenze: „Weist du noch, wie wir damals beim Augenarzt versuchten, bunte Haftschalen zu kriegen?“
Es sind häufig Nebensächlichkeiten, die das sensible deutsche Besuchergemüt sticheln. Das beiläufige „Oh, die Volksempfänger“ einer Westlerin über die Anfangsbeispiele der DDR-Radioproduktion findet sogar eine Teenagerin total daneben und zischt vor sich hin: „So'n Quatsch, keine Ahnung die Frau!“
Insgesamt aber gehen gerade die Jüngeren relativ locker an die Sache. Von Verbissenheit keine Spur, zum Beispiel beim jungen Pärchen, das sich schmusend durch die schmalen Gänge zwischen den Requisiten des Funktionärssozialismus schiebt und sich in der Schmunzelecke über die automatisch winkenden DDR-Papierfähnchen amüsiert. Während zwei Japaner vor allem am abgeschlossenen Sammelgebiet DDR interessiert sind, alte Geldscheine und Orden bewundern. Bunt ist sie wirklich, die Ausstellung, manchen zu bunt. Gunnar Leue
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