: Elektronenbeschleuniger erst 2009 in voller Fahrt
■ Hochgelobte Bessy-II-Anlage bedeutet Rückschritt: Geringe Kapazität
Mit einem Knopfdruck schoß Wissenschaftsstaatssekretär Erich Thies (CDU) letzte Woche die ersten Elektronen auf ihre Umlaufbahn – und Berlin vermeintlich ins Eldorado der europäischen Synchrotron-Forschung. Doch die hochgelobte Bessy II, eine der weltbesten und -teuersten Anlagen der Strahlungsforschung, ist auf Jahre hinaus nur eingeschränkt nutzbar. Zwar erzeugen die Elektronen auf ihrer Adlershofer Kreisbahn brillantes Licht. Aber die Wissenschaftler können die Strahlung kaum beobachten, weil die – vereinfacht gesagt – Guckrohre nur sukzessive montiert werden. Das finanzschwache Land investiert 100 Millionen Mark in schlummernde Technologie.
Betriebsbeginn des hochmodernen Elektronenbeschleunigers ist offiziell der 1. Januar 1999. Dann aber werden nur drei der sogenannten Strahlrohre zur Verfügung stehen, an denen Wissenschaftler experimentieren können. Ohne diese Meßplätze ist die insgesamt 200 Millionen Mark teure Anlage (Bund und Land Berlin) in Adlershof nicht nutzbar. „Das ist, als wenn man eine neue S-Bahn- Linie baut“, sagt der Experimentalphysiker Recardo Manzke, „und setzt nur zwei Waggons aufs Gleis.“
Professor Manzke von der Humboldt-Uni ist nur einer von Hunderten von Forschern, die Bessy II nutzen wollen. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt eicht und normt dort Lichtquellen. Mediziner versuchen sich an neuen Methoden der Krebserkennung. Und Grundlagenforscher stehen Schlange, um an den Synchrotronstrahler heranzukommen. „Wir haben Angst“, sagt ein Doktorand der TU, „daß niemand mehr Meßzeit bekommt.“
Bessy I, der in Wilmersdorf stationierte Vorgänger von Bessy II, wird im Jahr 2000 geschlossen. Dann reduziert sich die Zahl der Berliner Meßplätze auf 18. Das bestätigte Wolfgang Gudat, wissenschaftlicher Geschäftsführer der Bessy-Betreibergesellschaft. Bessy I bietet derzeit 35 Meßplätze, an denen rund um die Uhr geforscht und gemessen wird. Bessy II war offiziell wegen seiner größeren Leistung („hochbrillantes Licht“) gebaut worden und weil es doppelt so viele Meßplätze aufweist. Die Wissenschaftsverwaltung bestätigte, daß Bessy II die vorgesehene Kapazität von rund 70 Meßplätzen frühestens 2009 zur Verfügung stellen kann.
Bessy II werde „zunächst einen Rückschritt“ bringen, konstatierte Recardo Manzke. Wenn man eine Anlage wie Bessy II baue, „die wirklich Weltspitze ist“, dann müsse man sie auch nutzbar machen. Zu Bessy II vergleichbare Anlagen gibt es nur in Triest und Berkeley. Christian Füller
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