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Kies knackt Chemiegift

Ein unterirdischer Reinigungsreaktor soll pestizidverseuchtes Grundwasser in Bitterfeld säubern  ■ Von Steffen Przybyl

Unter der Wiege der deutschen Chemieindustrie stinkt es gewaltig. Die Wasserprobe aus Bitterfeld, die Holger Weiß vom Umweltforschungszentrum Leipzig- Halle in einer braunen Flasche aufbewahrt, riecht wie eine Mischung aus Männerklo und Motoröl. Zwei Millionen Kubikmeter davon sollen im Muldeschotter unter Bitterfeld und Wolfen herumgluckern, Altlasten einer über hundertjährigen Chemietradition. „Wenn die Schadstoffe da unten bleiben würden, müßte man sich keine Gedanken über ihren Abbau machen“, sagt der Wissenschaftler.

Doch den Gefallen tun sie ihm wohl nicht. Im nahegelegenen Sanierungsgebiet Goitsche sollen die Restlöcher des Braunkohletagebaus bald geflutet werden. Der steigende Grundwasserspiegel dürfte dann nicht nur die Keller zwischen Delitzsch und Wolfen füllen, er wird auch viele unterirdische Wasserströme in der Region umlenken. Wenn dadurch die verseuchte Wasserblase unter Bitterfeld in Bewegung kommt, sickern die Schadstoffe früher oder später in die vorbeifließende Mulde. Einer solchen großflächigen Verseuchung konnte man bisher nur das Abpumpen des vergifteten Grundwassers entgegensetzen. Doch die Kosten dafür wären gewaltig.

Leipziger Wissenschaftler wollen deshalb rechtzeitig erforschen, ob in Bitterfeld ein neues Verfahren anwendbar ist, mit dem man in Kanada schon beachtliche Erfolge erzielt hat. „Wir haben uns gefragt, warum wir das Grundwasser nicht einfach dort behandeln können, wo es ist“, sagt Projektleiter Dr. Weiß. Dafür soll zunächst zu Forschungszwecken eine sogenannte reaktive Wand in der Erde verbuddelt werden, die so tief reicht wie die grundwasserführende Schicht. In Bitterfeld sind das immerhin 20 Meter nasser Sand. Wird diese Schicht mit der Wand abgeriegelt, kann das Wasser zu einem Reaktor geleitet werden, der in die Wand eingesetzt wurde. Dabei handelt es sich schlicht um Kasten voller Kies, der mit Metallpartikeln behaftet ist. Fließt das Wasser langsamen hindurch, wandelt das Gemisch die gelösten Gifte in harmlose Stoffe um oder in solche, die biologisch im Boden abbaubar sind.

Zumindest in der Theorie. Zwar wurden in Kanada schon Chemiealtlasten wie Perchlorethen an einer solchen „rostigen Mauer“ erfolgreich aufgespalten. Bei dem Schadstoffcocktail aus Bitterfeld funktionierte das im Laborversuch noch nicht so gut: Bei den Rückständen handelt es sich hauptsächlich um Chlorbenzole, die aus der Pestizidherstellung stammen. Sie belasten das Grundwasser in einer Konzentration von immerhin einigen Milligramm pro Liter. Noch suchen die Ingenieure des Umweltforschungszentrums Leipzig- Halle nach einem geeigneten Weg, die Chlorbenzole zu knacken. Dabei bereitet die Geschwindigkeit des Abbauprozesses noch Probleme. Und ein bißchen auch der Ort des Geschehens.

„Grundwasser hat leider keine Lobby“, meint der agile Projektleiter und stöpselt grinsend die Stinkeflasche wieder zu, „man sieht es nicht, man riecht es gewöhnlich auch nicht, und es dauert Jahrzehnte, bis es wieder ans Licht tritt.“ Deswegen soll es in seiner „Bitterfelder Wand“ erstmals ein begehbares unterirdisches Labor geben, vielleicht sogar mit Ausblick – auf den nassen Sand. Schließlich ist das auf vier bis sechs Jahre angelegte Forschungsprojekt als Referenzobjekt für die Expo 2000 gedacht, und das Bundesforschungsministerium trägt 90 Prozent der Kosten, die sich wohl im Millionenbereich bewegen werden. Noch dieses Jahr soll der Bau beginnen.

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