Quengeleien in Mamas Hotel

■ Laut, zerstörerisch und die Sozialhilfeempfänger von morgen: Ein Blick von uns auf „die Jugend“

ir – und das heißt die Jugendlichen im allgemeinen – sind konsumorientiert. Wir sind aggressiv, laut, zerstörerisch, auch uns selbst gegenüber. Wir engagieren uns nicht, auch nicht, wenn es uns eigentlich etwas angeht. Wir gehen immer den Weg des geringsten Widerstandes. Wir sind egoistisch und besitzen kein Verhältnis zu unseren Mitmenschen – aber eigentlich auch nicht zu uns selbst. Wir sind faul und verwöhnt – kurz: richtige Wohlstandskids. Die Wörter Politik und Kultur sind uns fremd.

Weil uns Politik und Kultur fremd sind, besuchen wir kein Theater, allenfalls die Videothek, lesen keine Zeitung, und bei den Nachrichten schalten wir den Fernseher ab. Weil wir faul und verwöhnt sind, werden wir alle Sozialhilfeempfänger werden.

Weil wir kein Verhältnis mehr zu unseren Mitmenschen haben, brauchen wir Rave und Ecstasy. Weil wir immer den Weg des geringsten Widerstandes gehen, leben wir immer länger im Hotel „Mama“. Weil wir uns nicht engagieren, wird die Schule immer so bleiben, wie sie jetzt ist. Weil wir auch uns selbst gegenüber zerstörerisch und konsumorientiert sind, schlucken wir jede Droge, die wir kriegen können. Sind wir, wir Jugendlichen, so? Ja, so sind wir Jugendlichen.

Aber was erwartet Ihr? Ihr Lehrerinnen und Lehrer, Ihr Politikerinnen und Politiker, Ihr Journalistinnen und Journalisten, Ihr Talkmaster, Ihr Meinungsmacher – und vor allem Ihr, Ihr Erwachsenen, die von alldem nichts sind, außer vielleicht Eltern, und Euer Wissen über uns nicht tagtäglich veräußert?

Wie sollten wir zum Beispiel am Konsum vorbei kommen können? Schließlich ist er ein grundlegender Teil unserer Welt, die allerdings nicht unser Produkt ist. Wir sind vom Konsum geprägt, ohne Zweifel auch abhängig, aber wir sind ihm gegenüber auch machtlos, weil auch wir uns ihm weder entziehen noch ihn abschaffen können.

Aus dem gleichen Grund sind wir nicht „politisch“interessiert: Weil die entscheidenden Stellen, also die Stellen, an denen entschieden wird – auch über uns –, uns nicht zugänglich gemacht werden. Die uns zugestandenen Institutionen und Plätze – wie zum Beispiel Schülervertretung – haben eben genau so viel Einfluß, daß es gerade nicht reicht, grundlegende Strukturen zu verändern.

Was uns also geblieben ist, ist: uns Freiräume zu verschaffen; das aber wird von den Erwachsenen als laut und destruktiv, also störend, die Freiräume selbst als kulturlos erlebt. Es ist bezeichnend zu sehen, wie die neuen, nicht mit dem Althergebrachten verbundenen Elemente der Jugendkultur einfach ignoriert werden. Denn wenn auch zum Beispiel Graffitis oder deutscher Hiphop nicht jedem – und auch nicht jedem Jugendlichen! – gefallen mögen, so sind sie doch als Kunst wie als Ausdruck von Kreativität anzuerkennen und ernstzunehmen.

Jugendbewegung(en) alten Stils gibt es zweifelsohne nicht mehr. Die traditionellen Formen des Widerstandes – ob in öffentlichen Demonstrationen oder Institutionen – haben sich zu großen Teilen, sieht man von wendländischen Zuständen ab, allzuoft als wirkungslos erwiesen. Politisches Engagement im alten Sinne ist für uns kein Weg mehr, der in Betracht gezogen werden könnte.

Was bleibt, ist der Versuch, es sich in den Zuständen, und immer mehr trotz der Zustände, gemütlich zu machen. Oder aber einen ganz anderen Weg des Widerstandes zu entdecken. Einen Weg, der uns Jugendliche aus der Anonymität führt, in welcher wir sowieso nur als „die Jugend“bagatellisiert werden und die uns so die Möglichkeit zur Einflußnahme von vornherein nimmt.

Ole Graf, David Loer