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Berlin im Overscreening

■ Welche Kinos braucht die Stadt? Eine Diskussion über Multiplexe, das obskure Verhalten des Senats, die Chancen der Filmkunst und die Zukunft der Berlinale

Eher aufgeräumt war die Stimmung, als sich am Mittwoch abend Kinobetreiber, Kinogänger und Journalisten im Roten Salon der Volksbühne eingefunden hatten. „Multiplexer Größenwahn oder Filmtheatervielfalt – Welche Kinos braucht Berlin?“ war der unschuldig-suggestive Titel der Veranstaltung. Eingeladen hatte Alice Ströver, die kulturpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Neben ihr auf dem Podium saßen Ulrich Gregor, Leiter des Forums und des Arsenal Kinos, Janko Jochimsen vom Filmkunsthaus Babylon und Stefan Arndt, der die Angelegenheit von den verschiedensten Seiten kennt – als Programmkinobetreiber, als Filmproduzent und als jemand, der versucht, das ganz andere Multiplex in Prenzlauer Berg aufzubauen. Außerdem war auch Berlinaleleiter Moritz de Hadeln angekündigt, der aber eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn aus „privaten Gründen“ abgesagt hatte.

In Abwesenheit eines echten Multiplex-Enthusiasten oder eines Vertreters des Senats diskutierte es sich natürlich recht gemütlich: Schnell war man sich einig, daß Multiplexe kulturell eher risikofaule Unternehmungen sind, die ihren rasanten Aufstieg in der Planungsgunst der Behörden nicht zuletzt der Krise auf dem Berliner Baumarkt verdanken. Schon jetzt, so berichtete Arndt, werde in Bauzeitschriften geflüstert, Kinos zahlten 41,50 Mark pro Quadratmeter. Wem die Vorstellung, 28 Multiplexe mit jeweils um die zweitausend Plätzen könnten in Berlin wirklich ausreichend Zuschauer finden, etwas verträumt vorkommt, muß sich vor Augen halten, daß die Baugenehmigungen von den Bezirken erteilt werden, die ein dringendes Interesse an der Gewerbesteuer haben. Die Betreiber wiederum brauchen, wenn sie ihre Kinos als Abschreibungsprojekte betreiben, auch nicht unbedingt Besucher.

Interessanterweise sah die Lage aus der politischen Peripherie düsterer aus als von mittendrin. Während die Moderatorin mit der Angstperspektive von der flachplanierten, uniformen Kinolandschaft mit „Overscreening“ (Gregor) hantierte, wußte Arndt immerhin von günstigen Mitnahme- Effekten zu berichten: Im Umfeld von Multiplexen nämlich steigt die Gesamtzahl der Besucher um 50 Prozent. Von den „150 Prozent“ zieht dann das Multiplex etwa 60 bis 70 an, aber nur wenn es über ein wirklich differenziertes Angebot verfügt.

Das Multiplex ist eine amerikanische Erfindung, aus der Not der Filmbranche geboren, die sich plötzlich mit nur noch 60 statt früher 200 Millionen Zuschauern im Jahr konfrontiert sah. Nicht nur in den USA, auch in England, ist die Rechnung mit dem „Kino auf der grünen Wiese“, das ländliche oder vorstädtische Regionen mit einem Shopping-Mall-Service rund ums Kino ausstattete, aufgegangen: 80 bis 90 Millionen Besucher allein in England lassen die Investition für die gesamte Branche – also auch die Filmproduktion – sinnvoll erscheinen.

Es war nicht ganz leicht auszumachen, wer wirklich von Multiplexen etwas zu befürchten hätte: Ulrich Gregor, der als Betreiber des Arsenal für ein kommunales Kino sprach, meinte, bei ihm käme es zur Erstaufführung ohnehin nur dann, „wenn ein Film absolut unmöglich ist“. Im übrigen verstehe sich das Arsenal als „Museum mit Bildungsauftrag“, in dem sich Besucher auch mit den Traditionen der Filmkunst und ihrer Entwicklung vertraut machen könnten. Janko Jochimsen wiederum, der sehr um die Zukunft des Filmkunsthauses Babylon zu bangen hat, sagte, Filmkunsthäuser fühlten sich nicht nur für die lange zurück- oder weit entfernt liegende Produktion zuständig, sondern auch für die Wiederaufführung von Filmen wie „Thelma and Louise“, für die es unter Umständen sehr schwer sei, vernünftige Kopien zu bekommen – auch kein Programm, dem ein Multiplex Konkurrenz machen würde.

Das Stichwort „Abspielförderung“ rief eine gewisse Heiterkeit hervor. Arndt erzählte, das Sputnik Südstern habe eine Zeitlang recht erfolgreich Dokumentarfilme gezeigt, bis das Haus der Kulturen der Welt auf den Plan getreten sei. Dort war dann für 4 Mark Eintritt, ermöglicht durch staatliche Zuschüsse, eine relativ beliebige Auswahl von Filmen zu sehen gewesen, was dem Sputnik das Wasser abgegraben hat – das Publikum blieb weg. Solidarität der Kinobetreiber untereinander habe man nur einmal mobilisieren können – nach der Wende nämlich, wo es darum ging, daß alle Kinos im Osten der Stadt an einen einzigen Betreiber gehen. Aber gegen die amerikanische Strategie der „vertikalen Integration“, bei der Produktion, Verleih und Abspiel eines Films aneinandergekoppelt sind, ist die Berliner Szene machtlos. „Das ist genauso ernst wie Kirch“, warnte Arndt.

Gänzlich obskur bleibt, was der Senat für eine Kinolandschaft will. Senator Radunski und auch Moritz de Hadeln halten an dem Plan fest, die Berlinale auseinanderzuziehen und das Forum auszukoppeln, wodurch offenbar das touristische Angebot verbreitert und der Wettbewerb von einer lästigen Konkurrenz befreit werden soll. Während gegen diese Planung heftige Proteste zu erwarten sind, schicken sich die Freunde der deutschen Kinemathek gelassen in den Umzug an den Potsdamer Platz. Mariam Niroumand

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